ANGRIFF - Fantastischer Thriller (German Edition)
mir eine Menge über Sie erzählt.«
»Nur Gutes, hoffe ich.«
»Nur das Allerbeste.«
Rafe schlang den Arm um Lisls Hüfte und zog sie an sich.
»Sie hat mir auch eine Menge über Sie erzählt. Warum bleiben Sie nicht noch eine Weile, wenn die anderen weg sind und wir setzen uns zusammen und lernen uns kennen. Im Augenblick muss ich mich darum kümmern, dass alle mit Speis und Trank versorgt sind.« Er gab Lisl einen leichten Kuss auf die Wange. »Wir sehen uns später.«
Will sah zu, wie Rafe in dem dichten Gedränge im Wohnzimmer verschwand. Er schien eigentlich sehr nett. Aber weswegen kam er ihm so vertraut vor? Es war unwahrscheinlich, dass er Rafe zuvor begegnet war – wahrscheinlich nur jemandem, der ihm sehr ähnlich sah. Die Antwort lag verführerisch nahe unter der Oberfläche seines Unterbewusstseins. Will hätte ja sehr gern abgewartet, bis er von selbst auf die Antwort kam, aber er hatte das Gefühl, sein Unterbewusstsein könnte ihn vor Rafe Losmara warnen.
Er wandte sich an Lisl.
»Nun?«, fragte sie. »Was hältst du von ihm?«
Ihre Augen strahlten so, ihr Lächeln war so voller Stolz, dass Will einfach nicht in der Lage war, etwas anderes als Glück für sie zu empfinden.
»Ich kenne ihn ja noch nicht wirklich, aber er scheint sehr nett zu sein.«
»Oh, das ist er. Aber er ist auch ziemlich eigenwillig. Er hat seinen ganz eigenen Blickwinkel auf alle Dinge.«
»Unterscheidet sich dieser Blickwinkel sehr stark von deinem Blickwinkel?«
Er meinte ganz kurz eine Wolke in Lisls Augen zu sehen, aber dann strahlte sie wieder. Sie lachte.
»Manchmal überrascht er mich. Mit Rafe gibt es nie einen langweiligen Augenblick. Niemals!«
Will folgte Lisl in die Küche zurück und fragte sich, was sie damit wohl sagen wollte.
Er nuckelte an einem Scotch auf Eis, während er mit einem Tablett mit Würstchen im Schlafrock die Runde machte. Jeder war guter Dinge. Ein paar hatten etwas zu viel getrunken und wurden laut, aber niemand fiel aus dem Rahmen.
Dann klingelte das Telefon.
Will erstarrte und hätte beinahe das Tablett fallen lassen. Wie …?
Jemand hatte es wohl wieder eingestöpselt. Er betete darum, dass das Klingeln unterbrochen wurde und dann mit den üblichen Aussetzern weiterschellte. Aber das tat es nicht. Es klingelte ununterbrochen, unaufhörlich.
Und die Leute wurden aufmerksam. Einer nach dem anderen verstummten sie unter dem Druck dieses endlosen Klingelns. Der Gesprächspegel sank schnell auf die Hälfte, und schließlich blieb nur eine einzelne, lallende Stimme übrig. Und auch die verstummte schnell, und dann war da nur noch das Klingeln, dieses verdammte, unaufhörliche, höllische Klingeln.
Will stand da wie eine Salzsäule. Aus dem Augenwinkel sah er links eine Bewegung, als Lisl aus dem Flur ins Wohnzimmer kam.
2.
Dieses Klingeln, dachte Lisl, als sie den Raum betrat.
Guter Gott, war das Telefon defekt? Wieso klingelte es ohne jede Pause? Was auch immer der Grund war, die Stimmung der Party war schlagartig im Keller. Das Wohnzimmer war wie ein Tableau – niemand redete, alle waren wie erstarrt und blickten auf das Telefon.
Dieses Klingeln war irgendwie beunruhigend, unnatürlich. Sie musste dem ein Ende machen.
Lisl ging zum Telefon und nahm den Hörer ab. Ein merkliches Seufzen der Erleichterung raunte durch den Raum, als das Klingeln verstummte. Stille. Wohltuende Stille. Sie hob den Hörer ans Ohr …
… und hörte die Stimme.
Eine Kinderstimme, ein kleiner Junge. Er schluchzte, verängstigt. Nein … mehr als nur ängstlich – fast besinnungslos vor Angst. Er rief nach seinem Vater, der ihn holen sollte, dass es ihm nicht gefiel, wo er war, dass er Angst hatte, dass er nach Hause wollte.
»Hallo!«, sagte sie. »Hallo! Hier ist nicht dein Vater. Wer bist du denn?«
Das Kind klagte weiter.
»Sag mir, wer dein Vater ist und ich sehe zu, dass ich ihn finde.«
Das Kind jammerte und jammerte.
»Wo bist du denn? Sag mir, wo du bist und ich schicke dir Hilfe. Oder ich komme selbst zu dir. Du musst mir nur sagen, wo du bist.«
Aber das Kind schien sie gar nicht zu hören. Lisl versuchte weiter zu ihm durchzudringen, aber ohne Erfolg. Ohne auch nur anzuhalten, um nach Luft zu schnappen, weinte es nach seinem Vater, wobei die Stimme langsam zu einem Heulen anschwoll. Plötzlich begann er vor Angst zu kreischen.
»Vater, bitte komm und hol mich! Biiiiiiiittee! Vater, Vater, Vater …«
Lisl hielt den Hörer von ihrem Ohr weg. Es war so laut. Sie ertrug es
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