Angst
Sieht aus, als hätten Sie sich viel Mühe gegeben, mich zu fangen, und das schätze ich. Hebt meine Stimmung. Wie viele von Ihnen sind dort? Zwanzig? Vierzig? Und das alles wegen mir und Claudia!«
»In einer Hinsicht haben Sie tatsächlich recht, Sie wahnsinniger Alter. Ich werde Sie umbringen und richtig tief vergraben.« Die Worte waren Savich entschlüpft, ehe er sich bremsen konnte.
Moses Grace lachte laut auf und räusperte sich dann. Savich konnte durch die Leitung ein klebriges, dickflüssiges Geräusch hören. War er krank?
»Nee, Sie würden mich nich aus Rache erschießen, das is eine von Ihren bescheuerten Regeln. Sie würden mich ganz höflich und korrekt einbuchten. Würden mir sogar dabei helfen, einen schlitzohrigen Anwalt zu bekommen, der darauf plädiert, dass ich die Stimme meiner vor langer Zeit verstorbenen Mutter gehört hab, die mich im Keller eingesperrt hat, bis ich sechzehn war, und dass ich deshalb nich zur Verantwortung gezogen werden kann. Sie würden doch einem geistesgestörten Menschen nichts antun, oder? Vielleicht würde ich sogar in einer netten Anstalt landen, mit einem Haufen hübscher, kleiner Krankenschwestern, die mit ihren Ärschen vor meinem Gesicht rumwackeln.
Also echt, das kommt mir bekannt vor, fast wie ein De-scha-wü.
Die Sache ist die, Junge, Sie haben nich den Schneid, mich umzubringen. Hey, schauen Sie doch mal rüber zu Ihrer Frau, die so ernst und wachsam dasteht, mit all ihrem wundervollen roten Haar, dicht und richtig weich, das wette ich. Claudia mag sie überhaupt nich. Vielleicht könnte ich sie neben Pinky quetschen, sobald Claudia mit ihr fertig ist.«
Stille. Moses Grace hatte aufgelegt.
Savich rief Sherlock an, die gerade mit einem Bleistift in der Hand die Namen auf den Grabsteinen mit denen auf der Liste verglich, die sie bei sich trug. Moses beobachtete sie also. Sie hatte sich von dem Rough-Riders-Ehrenmal in Abschnitt sechsunddreißig entfernt und war immer wieder stehen geblieben, um die Grabsteine um sich her in Augenschein zu nehmen. Keine drei Meter von ihr stand eine echte Touristin vor einem Grabstein, eingehüllt in ihren Mantel, blies sich in die Hände und stampfte vor Kälte mit den Füßen.
Savich hatte so große Angst, dass er sich beinahe übergeben hätte. Sherlock war das perfekte Opfer für jemanden mit freier Sicht und einem Gewehr mit Zielfernrohr. Und er zweifelte nicht daran, dass Moses beides besaß. Außerdem war er sich sicher, dass der Mann schießen konnte. Wie weit entfernt waren die beiden und wo? Savich lächelte wie ein Irrsinniger, während er Sherlocks Handynummer wählte. »Sherlock.«
»Sherlock, runter! Geh sofort in Deckung!« Aber aus welcher Richtung würde der Schuss kommen?
In weniger als einer Minute war Sherlock von Agenten in Kevlar-Schutzkleidung umringt. Einige Augenblicke später eilten Savich und Sherlock im Gleichschritt auf Abschnitt siebenundzwanzig zu, wo laut Friedhofsunterlagen der Gefreite Jeremy Willamette beerdigt lag. Zu Savichs Erstaunen hatte Sherlock ihn nicht gefragt, warum er ihr befohlen habe, in Deckung zu gehen. Auch jetzt nahm sie es eher ungerührt hin, dass sie ein undurchdringlicher Schild aus Männern und Frauen umgab, alle mit gezückten Waffen.
Als sich die Agenten kurz versammelt hatten, hatte Savich jeden Einzelnen angesehen und gesagt: »Moses Grace hat mich gerade angerufen. Er ist hier, und er ist verrückt, und ich gehe jede Wette ein, dass er ein Gewehr mit Zielfernrohr besitzt. Wir müssen alle aufpassen. Und er hat mit mir über Sherlock gesprochen, sie bedroht.«
Savich konnte sich nicht daran erinnern, jemals mehr in Alarmbereitschaft gewesen zu sein. Jedes Geräusch, jeden Schritt, jeden Menschen um ihn her registrierte er. Sherlock ging neben ihm, während ihre Augen ununterbrochen die Umgebung absuchten. Wenigstens mussten sie in der Kälte nicht länger Touristen spielen, sondern konnten sich frei bewegen und darauf konzentrieren, das alte Monster und Claudia zu finden.
»Mr Maitland hat den Gerichtsmediziner zusammen mit der Spurensicherung und einem weiteren Dutzend Agenten hergeschickt, damit sie das gesamte Gebiet erneut durchkämmen«, sagte Savich zu seiner Frau. »Er weiß, dass Moses Grace sich hier befindet, und er ist ebenso besorgt wie wir.«
Sherlock nickte. »Wenn sie Pinky ganz früh heute Morgen hergeschleppt haben, dann hatten sie nicht viel Zeit zur Verfügung. Vielleicht haben sie irgendetwas zurückgelassen«, erwiderte sie, während
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