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Angst

Titel: Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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ihre Augen - genau wie seine - den Horizont absuchten.
    Die Agenten standen nun um Jeremy Willamettes Grab herum. Der Grabstein unterschied sich in nichts von den Tausenden anderen. In großen eingravierten Buchstaben war dort zu lesen:
    JEREMY ARTHUR WILLAMETTE UNSER GELIEBTER SOHN
    GEFREITER DER U.S. ARMY KOREA
    18. Mai 1935 10. September 1953
    Niemand sagte ein Wort, doch allen ging der Tod des jungen Mannes vor so vielen Jahren nahe, jeder hatte das Gefühl, Willamette sei einer von ihnen.
    »Es sieht ziemlich frisch aus«, meinte Agentin Connie Ashley, die das Kissen von ihrem Bauch entfernt hatte.
    Savich blickte hinab auf die lockere, mit einer feinen Schneeschicht bedeckte schwarze Erde. Ein riesiger Blumenstrauß aus verwelkten roten Rosen lag mitten auf dem Grab, und ihn überkam ein Anflug von Trauer. Er hatte Pinky retten wollen, aber dazu war es jetzt zu spät. Er hob die Rosen auf, die mit einer großen, auffälligen goldenen Schleife zusammengebunden waren. Wäre es noch ein paar Grad kälter, dann wären die Blumen gefroren. Er reichte sie Agent Don Grassi. »Finden Sie heraus, wo Moses Grace diese Rosen gekauft hat. Natürlich kann es auch sein, dass er sie einfach von einem anderen Grab aufgelesen hat, aber überprüfen Sie das bitte bei den Blumengeschäften hier in der Gegend.«
    Ohne die Augen von der lockeren schwarzen Erde abzuwenden, sagte Agent Dane Carver: »Glaubst du, dass Moses Grace und Claudia uns immer noch sehen können?«
    Savich nickte bedächtig und ließ seinen Blick von einem Baum zum nächsten schweifen. »Hier gibt es zu viele Verstecke. Eine Fläche von zweihundert Morgen - voller Bäume, Grabsteine, Gebäude, Ehrenmale.« Zu Agent Ollie Hamish, seinem Stellvertreter, sagte er: »Ollie, ruf Mr Maitland an und sag ihm, dass ich jeden Zentimeter dieser Gegend durchkämmen will. Er soll Fort Meyer Bescheid geben, damit wir Unterstützung von der Armee erhalten.«
    »Glaubst du, dass Pinky da unten liegt?« Dane hatte das Offenkundige gefragt, es laut ausgesprochen. Allen anwesenden Agenten war klar, dass sich Pinky Womack unter der schwarzen Erde befand, doch keiner von ihnen wollte mit der grausamen Realität konfrontiert werden. Niemand antwortete. Schweigend standen alle herum.
    Savich begriff, dass die anderen auf seine Anweisungen warteten. Doch er konnte den Gedanken, dass der alte Kerl Sherlock bedroht hatte, einfach nicht abschütteln. Über das Grab hinweg trafen sich ihre Blicke.
    »Es tut mir so schrecklich leid, Dillon. Armer Pinky!« Auf einmal bückte sich Sherlock. »Da, schau mal! Hier liegt ein ausgespuckter Kaugummi.«
    Savich erinnerte sich an die kleine rote Schüssel auf dem Tresen des Hooter’s Motel, in der lauter ausgespuckte Kau-gummis gewesen waren. Moses Grace hatte sie absichtlich dort hingetan, genau wie den Kaugummi hier.
    »Den hat er für uns hiergelassen«, erwiderte Savich, »um uns zu verspotten. Vielleicht handelt es sich um einen Insiderwitz. Wahrscheinlich ist es sinnlos, aber schickt ihn für einen DNA-Test ins Labor.«
    Savich beobachtete, wie Dane den Kaugummi in eine Plastiktüte gleiten ließ. Zwei seiner Agenten stießen mit einem Team von Friedhofsmitarbeitern zu ihnen.
    Sie fanden Pinky Womacks Leiche in dem Sarg, die Augen weit aufgerissen. Seine Gesichtszüge waren schreckverzerrt. Er lag auf dem uniformierten Skelett des achtzehnjährigen Jeremy Willamette.
    Die Blutflecken deuteten darauf hin, dass Pinky durch einen Stich in die Brust, wahrscheinlich ins Herz, ermordet worden war. Also hatte er einen schnellen Tod gehabt, wenigstens hoffte das Savich. Er konnte keine Spuren von Folter erkennen, aber er musste auf Dr. Ransoms Autopsiebericht warten, um sicher zu sein.
    Auf der Stelle rief Savich bei Miss Lilly im Bonhomie Club an. Nachdem sie die Nachricht vernommen hatte, sagte sie: »Armer Pinky. Er war kein schlechter Kerl, das weißt du, nicht wahr, Dillon? Er hat es sogar ab und an geschafft, Fuzz, den Barkeeper, zum Lachen zu bringen. Wenn auch nicht sehr oft. Ich werde es seinem Bruder Cluny selbst sagen, zerbrich dir darüber also nicht den Kopf. Oh, Dillon, wie ich das hasse!«
    Als Savich das Handy in seine Manteltasche gleiten ließ, wurde ihm klar, dass er sehr lange brauchen würde, um Pinkys Gesicht aus seinem Gedächtnis zu verbannen. Er fragte sich, wohin Sherlock verschwunden war.
    Dann hörte er den scharfen Knall eines Gewehrschusses, vernahm Schreie, sah Agenten mit gezogenen Pistolen durch die Gegend laufen.

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