Angst
Kalkstein gegraben hatte. Es hatte den Anschein, als sei dieser Abschnitt der Höhle seit Urzeiten unberührt. Aber Ruth wusste, dass die Goldbarren dort deponiert gewesen waren. Auf ihrer Karte hatte es geheißen: unter der Nische. Jetzt war jedoch nichts mehr vorhanden. Wer hatte den Schatz gefunden, und wann? Fast wäre sie in Tränen ausgebrochen. Sie war so aufgeregt gewesen, so voller Hoffnung, und nun war alles zunichte. »Sie ist leer, Chappy, Sie hatten recht.«
Sie drehte sich um und ging an der hinteren Wand der Höhle entlang, weg von den anderen. Erneut roch sie Jasmin, jetzt sogar stärker, und noch etwas anderes lag in der Luft, etwas Widerliches, Ungesundes. Als die Decke ein wenig niedriger wurde, ging sie gebückt weiter.
Der Geruch verstärkte sich.
Dann vernahm sie ein Geräusch, eine Art Wispern, vielleicht das leise Flattern von Fledermausflügeln. Womöglich waren auch das letzte Mal Fledermäuse über sie hinweggeflogen und hatten sie umgeworfen, weshalb sie sich den Kopf angeschlagen hatte. Aufmerksam ließ sie den Blick über die angestrahlte Decke gleiten, konnte jedoch nichts außer dem schimmernden Kalkstein erkennen.
Sie machte einen weiteren Schritt und stolperte über etwas. Sofort ging sie in die Knie und streckte die Arme aus, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Ihre Finger stießen auf etwas seltsam Matschiges, Kaltes.
Sofort wusste sie, was sie da gerade berührt hatte. Sie stieß einen spitzen Schrei aus und fiel nach hinten, wobei das Licht ihrer Stirnlampe ziellos über die Wände huschte.
Dann vernahm sie das Rufen der anderen, hörte sie in ihre Richtung laufen. Sie zwang sich, die Stirnlampe zu senken, und starrte nun in das grünlich aufgedunsene Gesicht einer jungen Frau.
»Ruth, was ist los? Was haben Sie gefunden?«
Sie blickte zu Dix empor. »Sie ist tot, Dix. Sie ist diejenige, die das Jasminparfum trägt. Und dieser widerwärtige Gestank stammt ebenfalls von ihr.«
Dix ließ sich neben Ruth auf die Knie sinken. »Savich, Sherlock, ich brauche hier mehr Licht. Chappy, du bleibst zurück, verstehst du mich? Komm keinen Schritt näher!«
Während der Sheriff die Leiche betrachtete, sagte er: »Ich kenne sie. Sie studiert an der Stanislaus. Ich weiß zwar nicht, wie sie heißt, aber ich habe sie manchmal in der Stadt gesehen.« Mit den Fingerspitzen berührte er ihren Hals, die Wangen und schließlich ihre Hände, die sorgsam über der Brust verschränkt waren. Fehlt nur noch eine Lilie, dachte er. Auf gar keinen Fall war sie zufällig oder allein in die Höhle gekommen. Die Totenstarre war schon eine geraume Weile eingetreten. »Sie ist noch nicht sehr lange tot. Vielleicht drei, vier Tage.«
»Ich habe ihr Parfüm gerochen, als ich am Freitag in die Höhle kam«, sagte Ruth mit klarer Stimme.
»Der Zeitpunkt könnte hinhauen«, fuhr Dix nüchtern fort. »Die Verwesung geht hier drinnen langsamer vonstatten, da es kühl und trocken ist. Bei dem eiskalten Wetter, das wir zurzeit haben, wird der Vorgang noch weiter verzögert; trotzdem hat er schon eingesetzt. Sehen Sie den kleinen, verfärbten Kreis auf ihrer Brust? Anscheinend ist sie erstochen worden. Ich kann jedoch kein Messer entdecken, Sie etwa?«
»Der Geruch«, sagte Ruth. »Nicht der von Jasmin, der andere. Ganz schön übel!«
»Ja«, erwiderte Dix. »Erinnert mich irgendwie an etwas Medizinisches.«
»Kein Messer«, sagte Savich, »aber ich nehme an, der Mörder kann es hier zurückgelassen und irgendwo versteckt haben. Die Spurensicherung hat eine Menge Arbeit vor sich. Sie werden die ganze Höhle durchforsten müssen.«
Ruth blickte auf das Gesicht der jungen Frau hinab, das in das Licht all ihrer Stirnlampen getaucht war. »Jemand hat sie bewusst so drapiert. Seht nur, wie ihre Arme über der Brust verschränkt sind, die Beine ausgestreckt, das Kleid glatt gestrichen.«
Dix stand langsam auf und dehnte sich. »Muss irgendein Wahnsinniger am Werk gewesen sein. Er tötet sie, drapiert sie in einer bestimmten Pose und bestattet sie hier. Der Kerl konnte nicht ahnen, dass die Kammer einen weiteren Ausgang hat. Das Ganze könnte direkt aus einer Horrorgeschichte von Edgar Allen Poe stammen.«
Sherlock durchsuchte die Taschen der jungen Frau und tastete die Leiche vorsichtig ab. »Ich sehe keine Geldbörse. Zwei Hosentaschen, aber die sind leer. Kein Ausweis.«
Ruth sah zu dem bogenförmigen Durchgang auf der anderen Seite der Kammer hinüber. »Glauben Sie, dass sie in der Höhle ermordet
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