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Angst

Titel: Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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geistesabwesend mit den Hummelfiguren spielte, die aufgereiht auf dem Kaminsims standen. »Gordon meinte, ich solle dir alles erzählen, was ich von Erin weiß. Nun, wie bereits gesagt, sie hat nie einen Mann in ihrem Leben erwähnt. Sie hatte keine Zeit für Jungen, ihre gesamte Leidenschaft galt der Musik. Ich konnte die Augen schließen, während sie ein Stück für Violine solo von Schumann oder Edvard Grieg spielte, und wurde an Yehudi Menuhin oder mich selbst erinnert. Sie konnte wirklich so gut sein.«
    Gloria hielt kurz inne, zog das Stirnband vom Kopf und strich sich mit den Fingern durch das dichte, verschwitzte, dunkle Haar, das bereits einige graue Strähnen aufwies. Sie hatte kein Make-up aufgetragen oder es war vom Schweiß weggewischt worden. Sie hat immer Sport getrieben und auf sich achtgegeben, dachte Dix. Gloria war breit gebaut, hatte eine straffe Haut und einen exzellenten Teint. Was für ein Unterschied zu früher. Damals war sie viel dünner und so angespannt gewesen, dass sie einen bei jeder Kleinigkeit gleich angefahren hatte.
    »Erin wollte schon immer hier an der Stanislaus studieren, nicht an der Juilliard«, sagte Gloria und blickte, soweit Ruth das beurteilen konnte, ins Leere. »Sie hasste New York, fand es schmutzig, zu groß und zu laut und mochte einige Leute nicht, die dort leben.« Sie machte eine kurze Pause und seufzte. »Ihr Vorbild war Arcangelo Corelli, obwohl sie ihn natürlich nie hatte spielen hören, da er im siebzehnten Jahrhundert lebte. Sie las die Beschreibung seines Geigenspiels bei einem zeitgenössischen Dichter und schwor, dass sie nichts anderes wollte.«
    Auf einmal drehte sie sich um, und Tränen standen ihr in den Augen. »Gordon ist vollkommen außer sich. Ich bin am Boden zerstört. Sobald Erin ihren Abschluss gemacht hätte, wäre sie eine der allerbesten Violinistinnen geworden, die in den letzten Jahren unsere Musikschule verließen. Bald hätte sie ihren Platz als erste Geige in einem der besten Orchester der Welt eingenommen. Ich kann mir einfach nicht erklären, warum jemand ihr Leben und ihr außergewöhnliches Talent auslöschen wollte.«
    »Wie alt war sie, als sie ihren ersten Geigenunterricht erhielt, Miss Stanford?«, fragte Ruth.
    »Drei, denke ich, das Durchschnittsalter, wenn die Eltern intelligent und aufmerksam sind.«
    »Stand sie ihrer Familie nahe? Ihren Geschwistern?«, wollte Sherlock wissen.
    »Sie war ein Einzelkind. Bevor Sie hier eintrafen, haben mich ihre Eltern angerufen. Ich konnte ihre Mutter kaum verstehen, derart heftig hat sie geweint, die arme Frau.«
    »Kennen Sie jemanden, der eifersüchtig auf Erin war? Der sie gehasst hat, weil sie so gut spielte? Der sie als Konkurrentin betrachtet hat, die es zu eliminieren galt?«
    Gloria blickte zu Agent Savich, der die Frage in einem tiefen und angenehmen Tonfall gestellt hatte, dabei gleichzeitig jedoch unnachgiebig, ja sogar etwas gefährlich aussah. Sie bemerkte den Ehering an seinem Finger und war für einen Moment enttäuscht. »Verzeihung, Agent Savich, was haben Sie eben gesagt?«
    »Eifersucht, Ma’am. Könnte es jemanden geben, der aus Eifersucht ausgerastet sein könnte?«
    »Lassen Sie mich diesen Punkt klarstellen«, sagte Gloria sachlich. »Schulen wie die Stanislaus und die Juilliard nehmen nur ganz besonders begabte junge Leute auf, und jeder Student steht in direkter Konkurrenz zu allen anderen Studenten. Abgesehen vom Konzertieren gibt es nicht viele berufliche Wege, die Violinisten offenstehen, außer man möchte an irgendeiner Highschool in Los Angeles Geige unterrichten. Es ist ein hartes Geschäft, manchmal nervenaufreibend, und es kann die dunkelsten Seiten in einem Menschen wecken. Aber Musiker lernen, sich auf sich selbst und ihre Musik zu konzentrieren, wenn sie herausgefordert werden, und nicht auf andere.
    Ich kann mir nicht vorstellen, dass auch nur einer der zwölf Studenten, die hier an der Stanislaus Violine studieren, Erin als eine derartige Bedrohung für seine eigene Zukunft gesehen hat, dass er in Erwägung gezogen hätte, sie umzubringen. Von so etwas habe ich noch nie gehört. Wie seltsam, dass sie in einer Höhle gestorben ist. Wissen Sie, dass sie einmal in der Nähe ihrer Heimatstadt in Iowa eine Höhle besucht hat, damit sie hören konnte, wie sich ihre Geige tief unter der Erde anhört?«
    Dix stellte weitere Fragen über Erins Lehrer, erkundigte sich, ob Gloria einen kennen würde, der in Maestro wohnte. Er bat sie, ihn anzurufen, falls ihr

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