Angst
die Augen abzutupfen. Dann rückte sie die Brille wieder zurecht. »Es tut nicht mehr ganz so weh, wenn ich weine.«
»Berichte ihnen von dem Farmer, Elsa«, sagte Jon Bender.
»Der Farmer, der mich gefunden hat, hat mich jeden Tag besucht, hat mir Rosen mitgebracht. Er saß an meinem Bett und erzählte mir, wie er Gerste und Hafer anbaut. Nach meiner Entlassung brachte Jon mich hierher zurück, in unser altes Haus, nur dass ich nicht sehen kann, was sie daran verändert haben, seitdem ich fort bin.«
»Fragen Sie ihn, Elsa. Fragen Sie ihn doch einfach.«
Jon Bender sah aus, als wollte er im nächsten Moment in Tränen ausbrechen. »Ich habe nichts verändert, Elsa.«
»Gut.« Zum ersten Mal lächelte sie ein wenig. »Ich hasse kitschige Sachen. Ich bin froh, dass du alles so gelassen hast.« Savich durfte ihr einige Minuten lang Fragen stellen, und sie beschrieb Moses und Claudia so genau wie möglich. Außerdem erklärte sie sich einverstanden, später am Tag mit einem Phantombildzeichner zu reden, und teilte Savich mit, dass Claudia tatsächlich wie ihre Tochter aussah. Sie schenkte ihrem Gatten erneut ein Lächeln. »Jon, gib ihnen das Foto von Annie beim Wasserballspielen. Erinnerst du dich, ich hatte dir einen Abzug geschickt? Die Ähnlichkeit ist wirklich verblüffend.«
Nachdem Mr Bender aus dem Zimmer gegangen war, setzte sie wieder an: »Erzählen Sie mir mehr von Ihrem Jungen, Mr Savich.« Seine Hände hielten noch immer die ihren tröstlich umschlossen.
»Sein Name ist Sean, und er ist ein Prachtkerl.« Er beobachtete ihr Gesicht, während er ihr von Seans drittem Geburtstag erzählte, bei dem Savichs Schwester Lily hinter zwanzig kleinen Kindern hergerannt war, ihre Füße in riesigen Clownsschuhen. Dann beschrieb er, wie Sean es liebte, ihm entgegenzulaufen, sobald er am Abend durch die Haustür trat. Bei dieser Schilderung lächelte sie erneut, ihr Atem ging jetzt gleichmäßig und ruhig.
Jon Bender unterbrach die beiden, als er zurück ins Zimmer kam. »Ich habe versucht, Elsa zu überreden, mir eine zweite Chance zu geben, Agent Savich.«
Die Finger zwischen Savichs Händen versteiften sich erst ein wenig, um sich im nächsten Augenblick wieder zu entspannen. Elsa war noch nicht bereit, ihn loszulassen, und das war in Ordnung.
»Ich habe ihr immer wieder versprochen, dass ich mich nie mehr wie ein Schuft aufführen würde.«
Und völlig überraschend begann Elsa Bender zu lachen. Dann sah sie in die Richtung, aus der die Stimme ihres Mannes kam. »Vielleicht wirst du es tatsächlich nie wieder tun«, sagte sie. »Die Kinder jedenfalls scheinen dir zu glauben.«
Sherlock musterte Jon Benders Gesicht ganz genau, beobachtete seine Augen, die auf Elsa ruhten. »Wissen Sie was, Elsa? Ich glaube, Ihr Mann hat begriffen, was ihm wichtig ist.«
Zehn Minuten später ergriff Savich Elsas Hände und zog die Frau langsam hoch, wobei ihre Decke zu Boden glitt. Elsa war noch nicht ganz sicher auf den Beinen.
»Sie werden sich wieder erholen, Elsa. Jon wird sie jetzt warm einpacken und mit Ihnen einen schönen Spaziergang machen. Vielleicht wird er Ihnen sogar eine heiße Schokolade zubereiten, wenn Sie heimkommen. Das wird etwas Farbe zurück auf Ihre Wangen zaubern.«
Es war beinahe neun Uhr, als Savich am Mittwochabend an Sheriff Nobles Haustür klopfte. Brewsters Bellen hörte sich an, als befände sich ein riesiger Hund im Haus. Dann vernahmen Savich und seine Frau Schritte, die zur Eingangstür eilten. Im nächsten Moment wurde sie aufgerissen, und Rob und Rafe stießen einander beiseite, um sich nach vorne zu drängeln.
»Hallo, Spezialagent Savich. Hallo, Spezialagentin Sherlock. Haben Sie heute jemanden erschossen?«
»Oh ja«, erwiderte Sherlock sofort. »Das Blut floss in Strömen. Hat mich eine Ewigkeit gekostet, es abzuwaschen.«
»Mann! Wirklich, Sie müssen uns alles erzählen, was Sie erlebt haben! Nicht bloß das langweilige Zeug, so wie Dad das immer macht, sondern alle coolen Einzelheiten!«
Savich lächelte zum ersten Mal, seit sie vor wenigen Stunden Washington verlassen hatten. Er umarmte rasch die beiden Jungen und atmete ihre Aufregung, ihren jugendlichen Durst nach allem Schaurigen ein. Würde Sean in ungefähr zehn Jahren dieselben Fragen stellen?
»Wir haben mit dem Abendessen auf Sie gewartet, bis Dad meinte, dass er seine Ellbogen anknabbern müsste, wenn er jetzt nichts zu sich nimmt. Es gab Bouillabaisse, die Miss McCutcheon rübergebracht hat, weil sie weiß, dass
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