Angst (German Edition)
merkwürdig ist, dass ich Stunden, die klassischerweise Stunden zu zweit sind, alleine genieße und dass meine Frau derweil zu Hause sitzt, in einem Buch liest und den Schlaf unserer Kinder behütet. Da war mir klar, dass ich nicht gerne mit meiner Frau zusammen bin, dass ich ihr aus dem Weg gehe, dass meine glücklichen Stunden die mit meinen Kindern sind und die mit mir alleine. Ich habe nicht weiter darüber nachgedacht, ich habe das verdrängt. Ich nahm das Häuschen der Abalone mit nach Hause, es ist schwarz und perlmutt gemustert und sieht edel aus. Von einem Japaner, der sich in Berlin niederlassen will, sagte ich zu meiner Frau, obwohl ich gar nicht wusste, ob die Meerschnecke Abalone, die auch Meerohr genannt wird, etwas mit Japan zu tun hat, und warum sollte ich einen japanischen Kunden haben? Hatte ich nie. Rebecca hat sich gefreut und nichts gefragt.
Ich ging schon länger alleine essen. Es fing an in einer Zeit, in der ich meine Ehe noch glücklich nennen konnte. Ich musste einen Auftrag bearbeiten, war in Verzug, musste Nachtschichten einlegen und wollte nicht mehr Pizza bestellen oder Asia Food. Ich ging raus und setzte mich in die Trattoria, die es in der Nähe unseres Büros gibt. Dort machte ich Skizzen, manchmal nahm ich meinen Laptop mit. Meine Frau hatte Verständnis, es war ihr klar, dass ich die Arbeit ohne manche Abende nicht bewältigen konnte. Bald wurde ich des Essens beim Italiener überdrüssig, da er nie seine Karte änderte und ohnehin kein Italiener ist, sondern ein Bulgare, der den Italiener spielt. Nichts gegen Bulgaren, wirklich nicht, aber wenn ich zum Italiener gehe, will ich auf Italiener treffen, sie sollen prego sagen und grazie und, wenn sie das unbedingt wollen, auch grazie dottore, obwohl ich keinen Doktortitel habe. Der Bulgare hat all das auch gesagt, auf eine liebenswürdige Weise und mit einem Akzent, der italienisch klang, aber nachdem ich erfahren hatte, dass er Bulgare ist, suchte ich mir ein anderes Restaurant, ein besseres, dann ein noch besseres, bis ich mich zu einem Feinschmecker entwickelt hatte, eine teure Sache, zu teuer in Wahrheit, aber es war mir egal. Meiner Frau sagte ich nicht, wo ich die Abende verbrachte. Sie dachte, ich sei im Büro oder bei dem billigen, unfestlichen Italiener in der Nähe des Büros, sie wunderte sich allerdings, wie schnell unser Geld schwand.
Ich wich ihr auch zu Hause aus. Wenn ich heimkam, setzte ich mich nicht zu ihr in die Küche, wo sie Möhren oder Kartoffeln schälte, sondern zu den Kindern ins Kinderzimmer, was leicht damit zu rechtfertigen war, dass die Kinder ihren Vater den ganzen Tag nicht gesehen hatten, und Kinder brauchen ihren Vater, ist ja klar. Stimmt wirklich, aber für mich waren sie auch, und das ist ein bitterer Satz, Schutzschilde vor dem Alleinsein mit meiner Frau. Ich schaute sie an, wenn ich sie überhaupt anschaute, ohne dass mich ihre Schönheit berührte, und ich hörte ihr zu, wenn ich ihr überhaupt zuhörte, ohne dass mich ihre Worte erreichten. Was trieb mich fort? Was trieb mich weg von der Frau, die ich einmal sehr geliebt hatte?
Ich weiß, dass ich weiß nicht keine gute Antwort ist. Aber ich muss so anfangen, es gibt etwas Unerklärliches darin, etwas Geisterhaftes. Ich wurde immer weniger in dem Paar, das wir waren, und ich wurde das unmerklich, allmählich, ich schwand dahin, ohne dass es Absicht war, ohne dass ich an meiner Frau litt. Ich blieb einfach fern und hatte zunächst nicht einmal das Gefühl, dass ich das tat. Unsere Handys machen es so leicht, sich voneinander zu entfernen, ohne den Kontakt zu verlieren. Ich freute mich, wenn ich eine liebevolle SMS meiner Frau ins Beluga bekam, ins Stranz, ins Axel Schwicht, ins Luna, zwischen den Gängen oder als ich, etwas pikiert, auf eine Rechnung über zweihundertfünfundvierzig Euro schaute, Trinkgeld noch nicht eingerechnet, versteht sich, also zweihundertsiebzig Euro, man kann da nicht geizig sein. Ich schrieb Rebecca eine liebevolle SMS zurück. Ich war nicht einsam, wer eine Familie hat, ist auch beim Alleinsein nicht einsam, weil er weiß, dass er jederzeit nach Hause fahren kann, zu den Lieben. Alleinsein kann so zum Genuss werden. Nach dem Essen ging ich hin und wieder nicht gleich nach Hause, sondern suchte noch eine Bar auf, trank einen Negroni, und manchmal erzählte ich dem Barmann von meiner Familie, von den wunderbaren Kindern und meiner schönen, klugen, großartigen Frau, und weil ich nicht wollte, dass der Barmann sich
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