Angst - Kilborn, J: Angst - Afraid
Vielleicht einen Ast. Er fuchtelte mit den Händen auf dem Boden herum, fand aber nichts.
Das Ka-Bar-Messer? Streng öffnete seine Bauchtasche, fand das Messer und schob es zwischen die Backen - in der Hoffnung, dass die Klinge ausreichen würde.
Aber es klappte nicht. Der Griff war zu kurz und hatte nicht genügend Hebelwirkung.
Wiley, du widerwärtiges Arschloch.
Streng hasste seinen Bruder, hasste ihn mehr als alle anderen, die er jemals in seinem Leben gehasst hatte. Er allein war an dieser ganzen Scheiße schuld. Und jetzt würden sie Streng gefangen nehmen, und der Schmerz würde noch schlimmer werden. Sie würden ihn zum Reden bringen. Streng war ein alter Haudegen, aber Santiago musste lediglich mit einem Stiefel sanft gegen die Falle treten, und Streng würde nichts lieber tun, als ihm zu erzählen, wo Wiley wohnte. Wiley würde sterben. Fran und Duncan würden sterben. Und er würde sterben.
Besser war es, wenn nur er sterben müsste.
Streng schluchzte, hustete, spuckte und hob dann das Messer,
um sich die eigene Kehle durchzuschneiden. Er wünschte, es wäre Wileys. Eine Bärenfalle. Der Hurensohn. Wie konnte er nur? Und das, obwohl er wusste, was ihr Vater durchgemacht hatte, mit dem Bein unter dem Baum, gefangen …
Der Sheriff hielt inne. Vielleicht musste er nicht sterben. Vielleicht würde er es schaffen.
Er nahm sich den Gürtel ab und legte ihn unterhalb des Knies an.
Denk gar nicht daran, ermahnte sich Streng. Dein Vater hat es geschafft, dann kannst du es auch schaffen. Und sobald du es getan hast, hört der Schmerz auf. Außerdem bist du ein alter Sack. Drei Wochen noch, dann gehst du in Rente. Wozu brauchst du als Rentner zwei Beine?
Streng legte das Messer an und machte sich an die Arbeit.
Die Falle hatte bereits durch die Muskelmasse und das meiste Fleisch geschnitten, und Streng machte dort weiter, wo sich die Zähne in den Knochen gebohrt hatten. Aber erst musste er das restliche Fleisch und die Muskeln an den Seiten loswerden.
Wie das Schneiden einer Grillhaxe, dachte Streng.
Der Schmerz war da, aber er spürte eine merkwürdige Distanz zu dem, was er tat. Distanz. Streng lachte, als er das Wort Tanz heraushörte, aber es war kein Lachen, sondern nur gequältes Schluchzen. Leises Schluchzen. Er musste so still wie möglich sein. Kurz darauf hatte er Fleisch, Muskeln und Sehnen durchtrennt. Er zog und brüllte erneut auf, denn das Bein war noch immer in der Falle gefangen.
Der Knochen.
Er erinnerte sich an Dads Geschichte und den Stein.
Streng hatte keinen Stein. Aber das Ka-Bar-Messer besaß eine schwere, frisch geschärfte Klinge.
Er begann, auf sein Bein einzuhacken.
Sein Gürtel half kaum. Strengs Hand war voller Blut, und
ihm wurde so schwindlig, dass er sich zusammenreißen musste, um bei Bewusstsein zu bleiben. Er schlug auf sein Bein ein und sah nach dem Knochen. Der Schmerz umgab ihn nun von allen Seiten. Wieder ein Hieb, wieder nach dem Knochen fühlen.
Hacken.
Fühlen.
Hacken.
Fühlen.
Hacken.
Fühlen.
Durch!
Der Knochen war durch!
Streng stieß ein gedämpftes Grunzen des Triumphs aus, setzte seine Hand hinter sich auf den Boden, wollte sich davonziehen …
… und schrie auf.
Er steckte noch immer in der Falle.
Er tastete mit schmutzigen Fingern. Der Knochen war durch, die Muskeln abgetrennt. Warum zum Teufel steckte er dann noch immer …
Heiliges Kanonenrohr, dachte Streng. Noch ein Knochen.
Von zwei Knochen war in der Geschichte seines Vaters nie die Rede gewesen.
Streng griff erneut in seine Bauchtasche und fand die Schachtel mit der Magnum-Munition. Er öffnete sie, nahm eine Patrone heraus und steckte sie sich zwischen die Zähne.
Beiß die Zähne zusammen, alter Mann.
Er stöhnte auf, hob das Ka-Bar-Messer hoch über den Kopf und hackte so hart und schnell er konnte.
Er wusste, dass er keinen Ton von sich geben durfte, aber er schaffte es einfach nicht länger. Der Schrei kam tief aus seinem
Inneren und wollte wie ein Nebelhorn einfach nicht aufhören. Streng hackte und hackte und schrie und hackte.
Endlich war sein Bein frei.
Streng gönnte sich keine Erholungspause. Das Messer fiel zu Boden, und er begann, sich so schnell er konnte von der Falle wegzuschleppen. Der Schmerz hatte jetzt einen Grad erreicht, dass Streng glaubte, ihn sehen zu können. Er war zu etwas anderem geworden, zu einem Doppelgänger, einer Kreatur reinen Leidens. Er kroch neben seinem Schmerz auf dem Bauch und schob sich mit seinem intakten Bein vorwärts.
Ein
Weitere Kostenlose Bücher