Angst - Kilborn, J: Angst - Afraid
Hände auf ihren Schultern hielten sie fest.
»Taylor und ich hätten eine Frage an Sie und würden eine rasche Antwort zu schätzen wissen. Sie haben uns bereits viel
Zeit gekostet, und da draußen warten noch eine ganze Menge Leute. Sie werden immer ungeduldiger und möchten endlich auch an die Reihe kommen. Ach, und machen Sie sich keine Sorgen, dass wir Sie nicht hören können. Ich kann Lippen lesen.«
Taylor stellte sich vor sie und klopfte sich den Staub und Reste von der Isolation der Zwischendecke von seiner Uniform. Er packte sie am Kinn und hob es hoch, bis sie ihn ansehen musste.
»Wo ist Warren Streng?«
Jessie Lee schüttelte den Kopf. Warren war der Bruder von Sheriff Streng. Ein alter Exzentriker. Er besaß eine Hütte irgendwo im Wald. Aber seit langem hatte ihn niemand mehr zu Gesicht bekommen.
»Ich weiß es nicht«, versuchte sie zu sagen, aber es kam nur ein feuchtes Flüstern aus ihrem Hals.
Taylor hockte sich vor sie. Seine Augen verrieten die Hölle in seinem Inneren.
»Denken Sie noch einmal nach. Denken Sie noch einmal ganz genau nach.«
Jessie Lee überlegte, ob sie irgendwas erfinden sollte, das ihr vielleicht mehr Zeit verschaffen würde. Aber Zeit wofür? Um ein paar Extrastunden mit diesen Psychopathen verbringen zu dürfen? Jetzt zu sterben war sicherlich um ein Vielfaches besser als alles andere, was ihr noch widerfahren könnte. Sie schloss die Augen und ließ ihre Erinnerungen noch einmal an sich vorüberziehen, um sich ein letztes Bild davon auszusuchen. Sie entschied sich für Erwin und den Abend, als er um ihre Hand angehalten hatte. Tollpatschig, stotternd, auf einem Knie in der Halbzeit eines Packer -Spiels. Sie sah sich auf dem riesigen Bildschirm im Stadion, und über Lautsprecher war zu hören: »Jessie Lee, willst du meine Frau werden?« Dann schob
er ihr einen Ring auf den Finger - einen so schicken Ring, wie er ihn sich eigentlich gar nicht hatte leisten können -, und als sie ihn umarmte und küsste, jubelten zwanzigtausend Menschen um sie herum.
Ihre Hochzeit wäre einfach wunderbar geworden. Und ihre Ehe ebenso. Jessie Lee presste die Lippen aufeinander. Sie glaubte beinahe, Erwins Stimme zu hören.
»Ist mir egal, ob ich da rein darf oder nicht. Ich gehe jetzt da rein.«
Es war Erwins Stimme. Draußen vor der Tür zum Umkleideraum.
»Da dürfen Sie nicht rein, Erwin.« Das war Rick Hortach, der Stadtkämmerer. »Sie ruinieren alles für die anderen.«
»Ich muss unbedingt wissen, ob sie da drin ist, Rick. Gehen Sie aus dem Weg.«
Taylor richtete sich auf. Aber sein Partner meinte nur: »Ich kümmere mich um ihn. Ich bin schließlich passend angezogen.« Dann verschwand er um die Ecke Richtung Sporthalle.
Hoffnung breitete sich in Jessie Lee aus. Sie musste Erwin irgendwie warnen, ihn wissen lassen, was hier vor sich ging.
»Es tut mir wirklich sehr leid, Sir«, sagte jetzt Taylors Partner. »Aber Sie müssen warten, bis Sie an der Reihe sind.«
»Ich suche meine Verlobte, Jessie Lee Sloan. Ist sie da drin?«
»ERWIN!«, schrie Jessie Lee. Sie schrie so kräftig sie konnte und gab alles - bis ihre Schultern zitterten und ihr Rachen brannte. Aber das Einzige, was sie herauspresste, war ein kaum hörbares Zischen.
»Miss Sloan war hier. Sie hat uns vor etwa fünf Minuten mit ihrem Lotteriescheck verlassen.«
»HILFE!« Jessie Lee versuchte aufzustehen, aber Taylor setzte sich auf sie. Sie wand sich und kämpfte, bis er eine Hand auf ihren Kopf legte, ihre Haare ergriff und sie nach hinten
riss. Dann spürte sie seine Lippen auf ihrem Hals, gefolgt von seinen Zähnen.
»Und warum steht ihr Name dann noch auf der Liste?«
»Wir kümmern uns darum.«
»Ich möchte trotzdem einen Blick da hineinwerfen.«
»Es tut mir leid, Sir, aber das ist nicht gestattet.«
»ERWIN!«, brüllte sie ein letztes Mal. Tränen strömten ihr über das Gesicht, und ihre Brust hob und senkte sich im Rhythmus ihres Schluchzens.
»Sagen Sie bloß, Sie hoffen noch, von hier wegzukommen!«, meinte Taylor. Sein heißer Atem brannte in ihrem Ohr. »Niemand schafft es, von hier zu fliehen.«
Er knabberte an ihrem Hals, und sie schüttelte den Kopf. NEIN NEIN NEIN NEIN NEIN …
»Ich weiß, dass sie da drin ist«, fuhr Erwin fort. »Aus dem Weg!«
Jessie Lee blickte zur Tür der Sporthalle. Da kam Erwin hineingestürmt - der große, starke, wundervolle Erwin -, die Hände zu Fäusten geballt. Er starrte auf die Leichen in den Duschen, und sein Mund klappte auf.
»HIER!«,
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