Angst sei dein Begleiter: Thriller (German Edition)
hinunter zu dem Graben, in dem das Opfer lag.
»Ach, herrje«, flüsterte Jennifer. Die Betroffenheit in ihrer Stimme rührte Tyler tief in seinem Inneren.
Das Opfer war einmal sehr attraktiv gewesen. Trotz des frühen Stadiums der Verwesung war leicht zu erkennen, dass sie eine schöne, junge Frau gewesen war. »Schau dich mal um, ob du eine Handtasche oder sonst etwas findest, damit wir sie identifizieren können«, wandte sich Tyler an Jennifer.
Er hockte sich neben die Leiche und machte sich an eine erste Einschätzung. Sie war nicht einfach an dieser Stelle abgeladen worden. Jemand hatte die Leiche sorgfältig hingelegt, die Beine dicht nebeneinander, die Arme ordentlich an den Seiten ausgestreckt. Ihr hellblondes Haar war zu perfekten Korkenzieherlocken frisiert, jedes einzelne Haar saß an seinem Platz.
Nein, man hatte sich ihrer nicht bloß entledigt. Man hatte sie hierhergetragen und sorgfältig zurechtgelegt, und zwar in einer Gegend, in der sie mit Sicherheit bald entdeckt wurde.
Blut war nirgends zu sehen, das makellose Weiß ihres Brautkleids wies keinen einzigen Schmutzflecken auf; doch an ihrem Finger steckte kein Ring als Hinweis darauf, dass tatsächlich eine Hochzeit stattgefunden hatte. Ihre Fingernägel waren nicht eingerissen, sondern sahen frisch manikürt aus.
»Hier liegt ein Handy«, rief Jennifer von irgendwo in der Nähe.
»Eintüten und etikettieren«, erwiderte Tyler, ohne den Blick von dem Mordopfer zu wenden. Er strahlte mit der Taschenlampe den Hals der Frau an, an dem dunkle Hämatome unter dem Kragen des Kleids zu erkennen waren. Er musste den offiziellen Bericht des Gerichtsmediziners abwarten, vermutete aber aufgrund seiner Erfahrungen, dass sie erwürgt worden war.
War dies auf dem Weg zum wichtigsten Ereignis ihres Lebens geschehen? Oder hatte man sie umgebracht und dann als Braut gekleidet, um die Phantasie eines Perversen zu beflügeln? Das herauszufinden war Tylers Beruf.
Dieses Mädchen mit dem schönen, blonden Haar und dem tragischen Ende war jetzt die neue Frau in seinem Leben. Er spürte ihre Not, spürte, dass sie nach ihm verlangte, ihn anflehte, ihrem frühen Tod Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Er richtete sich auf, als er noch mehr Dienstfahrzeuge kommen hörte. Jennifer trat zu ihm. »Ich habe keine Handtasche gefunden, auch sonst nichts, was sie identifizieren könnte. Wo fangen wir an?«, fragte sie leise.
»Mit den Vermisstenmeldungen«, antwortete er. »Wir sehen nach, ob irgendwo da draußen ein Bräutigam seine Braut vermisst.« Er richtete den Blick wieder auf die Frau im Graben.
Das Essen mit Annalise schien weit, weit zurückzuliegen.
4. Kapitel
S ie waren überall. Die Puppen. Drängten sie aus dem Bett, hingen von der Decke mit ihren leblosen Augen und Porzellangliedmaßen. »Hilfe«, schrie sie, als sie näherrückten, sich mit ihren kalten, harten Körpern schmerzhaft an sie pressten und ihr die Luft zum Atmen nehmen wollten.
»Mommy? Mommy, hilf mir«, schrie sie, als eine der Puppen von der Decke fiel, auf ihrer Brust landete und sie mit Blicken durchbohrte, deren Boshaftigkeit sie in Angst und Schrecken versetzte.
Ein Schluchzen entrang sich ihrer Kehle. »Mommy, wo bist du?«, rief sie. Sie hörte das leise Surren der Nähmaschine. »Mommy, sie wollen mich umbringen.«
»Hör auf mit dem Theater, Annalise. Schlaf weiter. Ich muss arbeiten.« Die strenge Stimme ihrer Mutter übertönte das Surren.
Die Puppen krochen auf ihr herum, kniffen sie und drängten sich an ihre Brust und an ihre Kehle. Sie wollten ihren Tod. Sie wollten die einzigen Babys ihrer Mutter sein.
Annalise erwachte keuchend, als sie aus dem Bett auf den Boden fiel. Dort blieb sie einen Moment lang liegen und wartete darauf, dass sich ihr wildes Herzklopfen beruhigte, während der Alptraum allmählich verblich.
Als das Telefon klingelte, richtete sie sich auf und tastete auf dem Nachttisch nach dem schnurlosen Gerät. »Ich dachte, wir wären heute Morgen um halb acht verabredet.« Danikas Stimme klang missmutig, und als Annalise einen Blick auf ihren Wecker warf, verstand sie den Grund. Es war Viertel nach acht.
»Tut mir leid. Ich habe verschlafen. Ich brauche mindestens eine Stunde, um mich fertigzumachen und in dein Büro zu kommen.«
»Vergiss mein Büro. Ich bin unten.«
»Ich komme runter und lass dich rein.« Annalise legte auf, erhob sich und griff nach ihrem Bademantel. Sie hatte nicht nur verschlafen, sondern fühlte sich, als käme sie gerade
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