Angst sei dein Begleiter: Thriller (German Edition)
Zubettgehen noch würde duschen müssen.
Sie war gerade im Begriff, den Karton zu öffnen, als das Telefon klingelte. »Annalise, ich bin’s, Mike.«
»Hi, Mike. Was gibt’s?«
»Ich habe heute ein paar Unterlagen erhalten, die du unterschreiben musst, und ich wüsste gern, ob du dazu morgen früh ins Corner Café kommen magst. Du weißt doch, dort wird ein hervorragendes Frühstück serviert.«
Er war der einzige Anwalt in ihrer Bekanntschaft, der jeden Geschäftstermin in ein Rendezvous zu verwandeln suchte. Warum nicht?, überlegte sie. Sonntags blieb der Laden geschlossen, und sie hatte die ganze Woche über nichts anderes getan als gearbeitet. Der Gedanke an die köstlichen Zimtbrötchen im Corner Café war durchaus verlockend.
»Gut.«
»Prima!«, erwiderte er, offenbar erstaunt über ihre Bereitwilligkeit. »Soll ich dich gegen zehn Uhr abholen?«
»Wie wär’s, wenn wir uns im Café treffen? Dann kann ich hinterher noch Besorgungen machen und habe meinen eigenen Wagen zur Verfügung.«
»Gut«, stimmte er ohne Umschweife zu. »Wie immer es dir am besten passt.«
»Dann bis morgen um zehn.« Sie legte auf und wünschte für einen kurzen Moment, sie würde sich stärker zu Mike hingezogen fühlen. Sie kannte ihn seit Jahren und wusste, dass ihm nicht nur ihr berufliches, sondern auch ihr persönliches Wohl sehr am Herzen lag.
Doch bei seinem Anblick fing ihr Puls nicht an zu rasen. Und er rief auch nicht die Frage in ihr wach, wie sein Mund wohl schmecken mochte, wie es sein würde, wenn seine Hände sie hielten und streichelten.
Beim Essen mit Tyler in der vergangenen Woche hingegen hatte sie sich einen Moment lang genau das gefragt. Während des Essens hatte er ihr in die Augen gesehen, und ihr Herz hatte so heftig geklopft, dass es nahezu weh getan hatte.
Vielleicht bestand seine Anziehungskraft zum Teil darin, dass sie den ganzen Abend mit netten Gesprächen verbracht und nicht über Puppen geredet hatten. Es war so schön gewesen, einen Abend ohne Gedanken ans Geschäft zu verbringen.
»Und er hat nicht angerufen«, sagte sie leise zu sich selbst. Sie öffnete die Kiste und verlor sich in Erinnerungen an ihre Highschool-Zeit.
Sie wusste nicht, wie lange sie so dagesessen hatte, versunken in Erinnerungen an Schulbälle und Jugendschwärmereien, als sie ein Geräusch ganz in ihrer Nähe wahrnahm.
Ein leises Rascheln. Ein Geräusch, das nicht hierher gehörte. Sie erstarrte, ihr Blick huschte in die Ecke, aus der es vermutlich gekommen war. Es war so dunkel, dass sie nichts sehen konnte, außer den unordentlich übereinandergestapelten Kisten, die ideale Verstecke boten für alles, was nicht hierher gehörte.
Eine geraume Weile lang blieb sie reglos sitzen, hörte aber nichts mehr. Langsam beruhigte sich ihr Pulsschlag. Vielleicht hatte sie sich alles nur eingebildet.
Sie war gerade im Begriff, die Kiste wieder einzuräumen, als das Geräusch abermals erklang. Ein Rascheln, wie von Kleidung, die eine Kiste streifte.
Dieses Mal war sie sicher, dass es keine Einbildung war. Sie fuhr aus der sitzenden Stellung hoch, und ihre Hand umklammerte das Telefon. »Ist da jemand?« Alles, was sie hörte, war das Dröhnen ihres eigenen Herzschlags in ihren Ohren.
War es womöglich nur eine Maus? Eine Ratte? Mit Nagetieren hatte es bisher nie Probleme gegeben. Außerdem klang es, als käme das Geräusch von etwas bedeutend Größerem als einer Ratte. Wieder vernahm sie das Geräusch, gefolgt von einem erstickten Husten.
Ihre Finger fuhren suchend über die Tasten des Telefons. Sie würde über den Notruf Hilfe herbeiholen. »Ich habe eine Waffe und werde nicht zögern, sie zu benutzen«, bluffte sie, während sie darauf wartete, dass sich die Notrufzentrale meldete.
»Warte! Nicht schießen!« Die Stimme klang panisch, als ein junger Mann hinter den Kisten hervortrat, die schlanken Arme über dem Kopf erhoben. »Ich bin’s. Charlie. Dein Bruder.«
»Notrufzentrale. Bitte melden Sie sich«, verlangte eine Telefonstimme an Annalises Ohr, doch sie hatte zunächst einmal Mühe, die Anwesenheit des jungen Mannes, der vor ihr stand, zu verarbeiten.
»Charlie?«, wiederholte sie.
»Hallo? Wollen Sie einen Notfall melden?«, rief die Telefonistin und riss Annalise aus ihrer kurzfristigen Benommenheit.
»Entschuldigen Sie. Ich dachte, hier wäre ein Einbrecher, aber wie sich herausgestellt hat, ist es jemand, den ich kenne«, sprach sie ins Telefon, ohne den Blick von dem Jungen zu wenden. Was wollte er
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