Angst vor dem Blutbiss
starrte, als er sich bewegte.
»Silberkugeln«, sagte sie und feuerte.
Die Kugel traf. Sie erwischte den Blutsauger in der Brustmitte. Wir konnten den Einschlag verfolgen. Wir sahen auch, wie es plötzlich dort aufstaubte, wo sich das Loch befand, als hätte Jane gegen altes Papier geschossen.
Der Vampir torkelte zurück.
Die Ledonne heulte nicht mehr. Sie hatte sich weggedreht und die Hände vor das Gesicht geschlagen. Es war auch besser so, wenn sie nicht zuschaute.
Der Untote war bis zur Treppe gekommen. Er wollte hoch, doch in seiner Brust wütete das geweihte Silber der Kugel. Es schwächte ihn, er würde es nicht schaffen. Der Meinung waren wir beide, doch nur Jane ging auf ihn zu, die Waffe im Anschlag.
Mit der Hacke stieß er gegen die unterste Stufe. Das stoppte seine Bewegung. Er sah aus, als könnte er sich noch einmal fangen, aber der Halt war nicht mehr da.
Rückwärts schlug er auf die Treppenstufen.
Über ihm hing die Lampe.
Es war wie ein Symbol. Der künstliche Mond strahlte auf ihn herab.
Bleiches Licht umfloß seinen alten Körper, in dem das Silber seine Wirkung nicht verfehlte.
Der Vampir hatte den Kopf noch mehr zurückgebogen. Es sah so aus, als starrte er einzig und allein nur gegen den Mond, um sich von ihm Hilfe zu erhoffen. Aber dieses Auge erneuerte seine Kraft nicht. Es war das falsche Licht, es leuchtete ihn nur an und demonstrierte, wie er starb. Auf vampirtypische Art und Weise verlor er seine untote Existenz.
Er schlug einige Male mit den Armen um sich, bis er es schaffte, die Hände gegen die Brust zu drücken, genau an der Stelle, wo ihn die Kugel getroffen hatte.
Es gab nicht mehr den üblichen Widerstand. Wir hörten es knacken und knirschen, als die alten Knochen zerbröselten und in der Luft ein großes Loch entstand.
Staub rieselte hinein. Seine Kleidung bestand ebenfalls nur mehr aus Fetzen. Er schrie, es hörte sich an, als hätte jemand eine dünne Metallsäge mit einem anderen Metall bearbeitet.
Und dann zerknackte sein Kopf.
Gleichzeitig wurde die Haut spröde. Sie bekam Risse. Sie sah aus wie schmutziges Porzellan, das kein Mensch mehr in seinen Besitz haben wollte.
Die Augen trockneten aus, fielen als Staub nach innen, als hätte sie ein Hohlraum im Schädel geschluckt. Das Haar hielt ebenfalls nicht mehr.
Büschelweise fiel es aus seinem Kopf und verteilte sich auf der Treppe wie dürres Gras.
Er war am Ende. Er verging, und wir wußten nicht mal seinen Namen.
Jane konnte es nicht lassen.
Zweimal trat sie auf seinen Körper.
Und zweimal brachen auch die letzten Knochen. Als sie den Fuß wieder zurückzog, da quoll eine alte Staubwolke in die Höhe wie ein letzter schauriger Gruß. Der aber machte eine Susan Carrigan auch nicht mehr lebendig.
Als wir uns umdrehten, sahen wir die Zuschauer. Ja, die Zuschauer. Sie hielten sich in einer gewissen Entfernung auf. Es waren die Schüler, die, aus welchen Gründen auch immer, sich in der Halle zusammengefunden hatten.
»Geht in eure Zimmer«, sagte ich ihnen. »Es gibt hier nichts mehr zu sehen. Es gab hier auch nie etwas zu sehen.«
Dann wandte ich mich an Madame Ledonne, um sie wenigstens in groben Zügen einzuweihen.
***
Auch der Hausmeister wurde gefunden. Als er aus seiner Bewußtlosigkeit erwacht war, hatte er an das Telefon gedacht, das sich in seiner Werkstatt befand. Er hatte Alarm geschlagen und war dann aus seiner Werkstatt hervorgeholt worden, denn allein hätte er es kaum geschafft, die Treppen hochzusteigen.
Vor mir lag eine schlimme Aufgabe.
Ich telefonierte noch in der Nacht mit Paul Carrigan. Es wurde ein sehr langes Gespräch, und Paul, der seinen Schmerz unterdrückte, machte mir keinen Vorwurf. Eher sich selbst, daß sie damals, dreißig Jahre zuvor, nicht besser reagiert hatten.
Marisa und Katja gab es noch. Sie hielten sich in Madame Ledonnes Büro auf, als die Leiche ihrer Freundin abgeholt wurde. Alles in dieser Nacht, da war auch der Arzt erschienen, der sich um die Verletzung des Hausmeisters kümmerte.
Irgendwann hatte ich dann etwas Ruhe und sprach mit Jane Collins.
»Was meinst du? Sollen wir noch drei Tage bleiben? Vor uns liegt ein Wochenende.«
Sie lächelte. »Ich kann ja mal anrufen.«
»Wo?«
»Im Hotel natürlich. Schließlich müssen wir das Zimmer ja noch länger reservieren…«
ENDE
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