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Angst

Angst

Titel: Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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munter weiter.
    Nach den großen Verlusten der vergangenen Woche in Europa und Amerika wird allgemein erwartet, dass die Finanzmärkte heute Morgen schwach eröffnen werden. Die Krise wurde durch Ängste ausgelöst, ein oder mehrere Länder der Eurozone könnten möglicherweise ihre Schulden nicht bezahlen. Über Nacht kam es in Fernost zu weiteren schweren Verlusten …
    Wenn sein Gehirn ein Algorithmus wäre, dachte Hoffmann, würde er es in Quarantäne schieben. Er würde es abschalten.
    In Großbritannien sind heute die Wähler aufgerufen, eine neue Regierung zu wählen. Allgemein wird damit gerechnet, dass die Labour Party, die Partei der linken Mitte, nach dreizehn Jahren im Amt die Macht verlieren wird …
    »Hast du per Brief gewählt, Gabs?«, fragte Quarry beiläufig.
    »Ja. Du nicht?«
    »Gott, nein. Warum sollte ich mich mit so was abge ben? Wen hast du gewählt? Halt, nicht sagen, lass mich raten. Die Grünen.«
    »Die Wahl ist geheim«, entgegnete sie steif und schaute irritiert zur Seite, weil er richtiggelegen hatte.
    Hoffmanns Hedgefonds hatte seinen Sitz an der Südspitze des Sees, im Stadtteil Les Eaux-Vives, der so solide und selbstbewusst war wie die Schweizer Geschäftsleute, die ihn im 19. Jahrhundert erbaut hatten. Wuchtiges Mauerwerk, breite Kopien der Pariser Boulevards, Trambahnoberleitungen, an den Bordsteinkanten blühende Kirschbäume, deren staubig weiße und rosafarbene Blütenpracht die grauen Gehwege besprenkelte, Läden und Restaurants in den Erdgeschossen und darüber sieben unerschütterliche Stockwerke mit Büros und Wohnungen. Inmitten dieser bürgerlichen Ehrbarkeit verriet nur ein kleines Namensschild an der Türsprechanlage einer schma len Gründerzeitfassade die Existenz von Hoffmann Investment Technologies. Wenn man nicht gerade nach ihm suchte, war das Haus leicht zu übersehen. Durch ein von einer Kamera observiertes Stahltor gelangte man hinunter in die Tiefgarage. Das Haus war von einem salon de thé und einem bis spät in die Nacht geöffneten Supermarkt gesäumt. In der Ferne war auf den Gipfeln des Jura noch Schnee zu erkennen.
    »Versprich mir, dass du dich nicht überanstrengst«, sagte Gabrielle, als der Mercedes vor dem Haus anhielt.
    Hoffmann streckte hinter Quarry die Hand aus und drückte ihr die Schulter. »Ich fühle mich mit jeder Minute besser. Was ist mit dir? Willst du wirklich schon wieder nach Hause?«
    »Genoud schickt jemand vorbei«, sagte Quarry.
    Gabrielle zog hinter Quarrys Rücken ein Gesicht – ihr Hugo-Gesicht: Mundwinkel nach unten, herausgestreckte Zunge, verdrehte Augen. Hoffmann konnte sich gerade noch ein Lachen verkneifen. »Hugo hat wie immer alles im Griff«, sagte sie. »Stimmt’s, Hugo?« Sie küsste die auf ihrer Schulter liegende Hand ihres Mannes. »Ich bleibe sowieso nicht. Ich hole nur ein paar Sachen und fahre dann gleich zur Galerie.«
    Der Chauffeur öffnete die Fondtür.
    »He«, sagte Hoffmann, der sie nur ungern allein ließ. »Ich wünsche dir viel Glück. Sobald ich mich loseisen kann, komme ich rüber, okay?«
    »Das wäre schön.« Er stieg aus. Plötzlich hatte sie eine so starke Ahnung, dass sie ihn nie wiedersehen würde, dass ihr fast schlecht wurde. »Sollten wir nicht doch für heute alles absagen und uns einen gemeinsamen freien Tag gönnen?«
    »Keine Chance. Du wirst sehen, alles läuft bestens.«
    »Ciao, meine Liebe«, sagte Quarry und schob sein elegantes Hinterteil über das Lederpolster zur Tür. »Weißt du, was?«, sagte er. »Vielleicht schaue ich auch vorbei und kaufe dir eins von diesen Dingern ab. Ich glaube, bei uns im Empfang würden die sich ganz gut machen.«
    Als der Wagen abfuhr, drehte Gabrielle sich um und schaute durchs Rückfenster. Quarry hatte den linken Arm um Alex’ Schultern gelegt. Er führte ihn über den Gehweg und gestikulierte dabei mit der Rechten. Sie konnte nicht sagen, was die Geste bedeutete, war sich aber sicher, dass er irgendeinen Scherz machte. In der nächsten Sekunde waren sie verschwunden.

    Die Büroräume von Hoffmann Investment Technologies präsentierten sich dem Besucher wie der sorgfältig inszenierte Ablauf eines Zaubertricks. Als Erstes öffneten sich schwere automatische Rauchglastüren zu einem schmalen Empfangsbereich mit niedriger Decke und dezent beleuch teten Granitwänden, der kaum breiter als ein Gang war. Dann hielt man sein Gesicht vor das Kameraauge eines 3-D-Scanners: Der geometrische Algorithmus brauchte weniger als eine Sekunde, um die

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