Angst
er nicht verraten, keinen Deal, den er nicht machen, kein Auge, das er nicht zudrücken würde. Solange er dabei den Rahmen der Gesetze nicht überdehnte und solange es ihm genügend Geld einbrachte.
»Ja, die Anlagen habe ich eingebaut«, sagte Genoud. »Und?«
»Warum so zugeknöpft? Ich mache Ihnen keinen Vorwurf. Wir wissen doch beide, dass die besten Sicherheitsanlagen der Welt nichts nutzen, wenn man vergisst, sie einzuschalten.«
»Wie wahr. Wenn Sie nichts dagegen haben, mache ich mich jetzt wieder an meine Arbeit. Es ist mir eigentlich nicht erlaubt, hier ein Schwätzchen zu halten.«
»Bei so einem Schwätzchen erfährt man oft ziemlich viel.«
Sie gingen in Richtung Empfang. »Also, dieser Doktor Hoffmann, was ist das für einer?«, fragte Leclere von Mann zu Mann.
»Ich kenne ihn kaum.«
»Irgendwelche Feinde?«
»Da müssen Sie ihn schon selber fragen.«
»Nie was davon gehört, dass ihn einer hier nicht mag? Irgendwer, den er rausgeschmissen hat?«
Genoud tat so, als dächte er darüber nach. »Nein. Also dann, Jean-Philippe, genießen Sie Ihren Ruhestand. Sie haben ihn sich verdient.«
Dreizehn
Das Erlöschen von Arten und Arten-Gruppen, welches an der Geschichte der organischen Welt einen so wesentlichen Theil hat, folgt fast unvermeidlich aus dem Prinzip der Natürlichen Züchtung; denn alte Formen werden durch neue und verbesserte Formen ersetzt.
Charles Darwin
Die Entstehung der Arten , 1 8 5 9
Der Risikoausschuss von Hoffmann Investment Technologies traf sich um 16:25 Uhr mitteleuropäischer Zeit, 55 Mi nuten nach Öffnung der amerikanischen Märkte, zum zwei ten Mal an diesem Tag. Es waren anwesend: Hugo Quarry (Geschäftsführer), Lin Ju-Long (Leiter Finanzen), Pieter van der Zyl (Leiter Operatives Geschäft) und Ganapathi Rajamani (Leiter Risikomanagement), der das Protokoll führte und in dessen Büro das Treffen stattfand.
Rajamani saß hinter seinem Schreibtisch wie ein Schuldirektor. Sein Vertrag schloss aus, dass er von den jährlichen Bonusausschüttungen profitierte. Das hatte seine Objektivität bei der Risikoeinschätzung stärken sollen, doch nach Quarrys Meinung hatte es einfach den Effekt gehabt, dass er sich in einen Snob mit Festgehalt verwandelt hatte, der es sich leisten konnte, über große Profite die Nase zu rümpfen. Der Holländer und der Chinese saßen auf den beiden Stühlen, Quarry hatte es sich auf dem Sofa bequem gemacht. Durch die offenen Jalousien sah er, wie Amber Leclerc zum Empfang begleitete.
Als erster Punkt wurde festgehalten, dass Dr. Alexander Hoffmann (Präsident der Firma) ohne Begründung abwesend war. Die Tatsache, dass Rajamani dieses Pflichtver säumnis offiziell protokolliert wissen wollte, war für Quarry das erste Indiz, dass ihr leitender Tugendbold vorhatte, mit harten Bandagen zu kämpfen. Tatsächlich schien es Rajamani sogar eine grimmige Freude zu bereiten, der versammelten Runde darzulegen, wie bedrohlich ihre Lage geworden sei. Er verkündete, dass seit dem letzten Treffen des Ausschusses vor etwa vier Stunden die Risiken, denen der Fonds ungeschützt ausgesetzt sei, dramatisch zugenommen hätten. Jedes Warnsignal im Cockpit leuchte rot. Man müsse schnell Entscheidungen treffen.
Er begann damit, ihnen mithilfe der Angaben auf seinem Computerbildschirm die Fakten vorzutragen. VIXAL habe die wichtigste Absicherung der Firma gegen steigende Kurse, die Long-Position in S&P -Futures, fast vollständig aufgegeben, sodass sie jetzt in den Unmengen ihrer Short-Positionen feststeckten. VIXAL sei gerade dabei, alle – »Ich wiederhole: alle« – Long-Gegenpositionen zu den rund achtzig Aktien, die er shorte, abzustoßen: Allein in den letzten Minuten seien die letzten Reste einer Long-Position in Deloitte im Umfang von siebzig Millionen Dollar, die man zur Absicherung der massiven Short-Position gegen den Deloitte-Konkurrenten Accenture gehalten habe, liquidiert worden. Und, was vielleicht das Beunruhigendste sei: Während eine Long-Position nach der anderen abgestoßen werde, habe es keine korrespondierenden Aktionen zum Rückkauf der Aktien gegeben, die sie geshortet hätten.
»So etwas habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen«, sagte Rajamani. »Es ist schlicht so, dass der Delta-Hedge der Firma nicht mehr existiert.«
Quarry bewahrte sich zwar sein Pokerface, aber sogar er war jetzt alarmiert. Sein Vertrauen in VIXAL war immer unerschütterlich gewesen. Ihr Fonds sollte ein Hedgefonds sein, der Name war das
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