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Angsthauch

Angsthauch

Titel: Angsthauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Crouch
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brüllte Rose und war mit einem Satz bei ihnen, um sie auseinanderzuzerren. Das war schlimmer als die frechste Schulklasse, die sie jemals in Hackney unterrichtet hatte. Noch dazu in ihrer eigenen Küche.
    Die zwei Jungs zu trennen war ein hartes Stück Arbeit. Nach außen hin mochte es den Anschein haben, als bestünden sie aus nichts als dünnem Draht und Papier, aber sie verfügten über eine ungelenke Kraft, die sie hart und widerspenstig machte. In ihren Körpern steckte so viel Energie, dass sie förmlich aneinander festklebten.
    »In Ordnung. Du setzt dich da hin.« Rose schob Nico ans eine Ende des Tischs. »Und du dich da, Yannis.« Sie sah sich gezwungen, auf Disziplinierungsmaßnahmen zurückzugreifen, die sie sich im Zuge ihre Arbeit angeeignet hatte, bei Anna aber noch nie hatte anwenden müssen. Rose nahm Flossie auf den Arm und ärgerte sich über sich selbst, weil sie ihre Tochter einer solchen Gefahr ausgesetzt hatte.
    »Time out. Fünf Minuten Stille, bis ihr euch wieder beruhigt habt.« Die Jungs saßen da und funkelten sich an. Rose setzte sich in den Sessel am Fenster und beobachtete die beiden nachdenklich, während sie Flossie stillte.
    Ursprünglich hatte sie gedacht, dass es das Beste wäre, wenn die Jungs noch ein oder zwei Wochen zu Hause blieben, bis mit der Schule alles geklärt war und sie sich in ihrer neuen Umgebung eingelebt hatten. Sie hätte mit ihnen ausgedehnte Spaziergänge durch die Hügel ums Dorf machen können, um ihnen den englischen Frühling und die Tiere auf dem Bauernhof am Ende der Straße zu zeigen.
    Der Streit jedoch hatte ihr klargemacht, dass sie ihren Plan womöglich würde überdenken müssen. Wenn man Nicos vulgäre Ausdrucksweise einmal außer Acht ließ, hatte er ganz recht: Die Brüder mussten Gelegenheit bekommen, Zeit getrennt voneinander zu verbringen, mit anderen Kindern. Und dafür war die Schule nun mal der ideale Ort. Außerdem musste sie auch an Anna denken, und nach dem, was sie soeben erlebt hatte, war es vielleicht das Beste für alle Beteiligten, den Yannis-und-Nico-Effekt durch die Gegenwart anderer Kinder ein wenig zu entschärfen.
    »Okay, passt auf«, sagte sie schließlich und knöpfte sich ihr Pyjama-Oberteil wieder zu. »Schön, dass ihr euch wieder beruhigt habt. Ich würde vorschlagen, wir gehen heute Morgen alle zusammen zur Schule, und ich rede mal mit der Direktorin.«
    Die Jungs reckten jubelnd die Fäuste in die Luft. Alle Feindseligkeiten waren vergessen.
    »Ich weiß nicht genau, was sie dazu sagen wird, aber sie ist mir noch einen Gefallen schuldig.«
    »Soll ich Mama wecken gehen?«, fragte Nico.
    »Nein, lass sie ruhig schlafen. Ich kümmere mich heute um alles.«
    »Hi.« Eine verschlafene Anna kam in die Küche geschlurft. »Was war denn das für ein Krach?«
    »Nico war schuld«, brummte Yannis und sah seinen Bruder an.
    »Du hast angefangen, Giftzwerg!« Nico langte quer über den Tisch und stieß dabei den Milchkrug um.
    »Es reicht!«, sagte Rose. Erneut musste sie die beiden trennen. Erst nachdem sie sie wieder auf ihre Plätze verfrachtet hatte, bemerkte sie, dass Anna, ihre kleine Doppelgängerin, den Lappen aus der Spüle geholt hatte und schweigend die verschüttete Milch aufwischte.
    *
    Als alle fertig waren, machten sie sich auf den Weg zur Schule. Nach der klaren Nacht war der Morgen recht kalt, also suchte Rose für Nico einen ihrer Fleecepullover heraus, in dem der Junge fast versank. Yannis bekam das einzige warme Oberteil von Anna, das nicht pink oder geblümt war. Bei Gelegenheit musste sie den Jungs unbedingt Gummistiefel besorgen.
    Der Weg zur Schule verlief hinunter bis ans Ende des Gartens, dann über die Wiese, am Fuß des Hügels entlang, der in ihrer Mitte wie eine einzelne Brust aufragte, und durch das eine halbe Meile entfernte Dorf. Die Streitigkeiten vom Morgen waren vergessen. Anna, Nico und Yannis tobten ausgelassen herum und sprangen in die Luft, um die mit Tau beladenen Äste der Bäume zu schnappen. Sie schüttelten sie und rannten vor dem Tropfenschauer davon.
    Rose, die Flossie unter ihrer Barbourjacke vor dem Bauch trug, ging ein Stück hinter ihnen. Sie musterte die Jungen mit ihrer sonnengebräunten Haut und den dünnen, schlaksigen Gliedmaßen in ihren zu großen Kleidern. Was für ein Gegensatz zu Anna, der alles haargenau zu passen schien, von ihrer eigenen Haut bis hin zur pinkfarbenen Steppjacke. Ihr Haar war fast unnatürlich dicht im Vergleich zu den langen, verzottelten Strähnen

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