Angsthauch
wunderschönen Hände. Aber es war, als bestünde Gareth aus zwei Hälften – hell und dunkel –, während Andy nur Helligkeit in sich hatte.
Diese Helligkeit war es auch, die ihm dabei half, mit dem Überrest an Wut klarzukommen, den Gareth immer noch empfand und in Ermangelung einer anderen Zielscheibe oftmals gegen seinen Bruder richtete. Für Rose wiederum hatte sie die Frage aufgeworfen, ob sie sich für den richtigen Bruder entschieden hatte.
»Er ist mehr als bloß in Ordnung«, sagte Rose zu Gareth.
»Mag sein.« Er zuckte mit den Schultern.
Die Flammen züngelten um das knorrige Holz, es knackte, und Funken stoben aus der geöffneten Ofentür auf die gemauerte Einfassung. Rose betrachtete ihren Mann und fragte sich, wie sie jemals daran gezweifelt haben konnte, dass er der Richtige für sie war. Sie saßen still und lauschten. Die Stille wurde nur vom Gesang einer Amsel durchbrochen, die Rose den ganzen Winter über gefüttert hatte. Sie saß auf dem Schornstein und verlieh dem Abend Tiefe.
»Ich hoffe, sie bleiben nicht zu lange«, meinte Gareth irgendwann.
»Ach, sie hält es doch nie lange an einem Ort aus«, erwiderte Rose. »Wie ich Polly kenne, ist sie verschwunden – höchstwahrscheinlich mit einem neuen Ehemann, einer Band und einem Plattenvertrag in der Tasche –, bevor ich Gelegenheit habe, die Bettwäsche zu wechseln.«
»Ich will nicht, dass du sie bemutterst. Sie ist erwachsen. Sie muss sich selbst um ihren Kram kümmern.«
»Alles klar, Daddy«, sagte Rose und lehnte sich an ihn.
»Tut mir leid.« Gareth legte ihr den Arm um die Schultern. »Ich will bloß nicht, dass wir darüber die wichtigen Dinge aus den Augen verlieren.«
»Mach dir deswegen keine Sorgen.« Sie hob den Kopf und küsste ihn. »Ich muss sagen, das Feuer hier ist wirklich sehr gemütlich«, raunte sie, als sie auf die Knie sank und sich an den Knöpfen seiner Levi’s zu schaffen machte.
*
Als sie später im Schlafzimmer neben Gareth lag – der auf der Stelle eingeschlafen war –, musste Rose erneut an seine Worte denken. Wie schwer es zeitweise für ihn gewesen sei und dass er fast den Verstand verloren habe. Tatsächlich hatte es eine Phase gegeben, als sein Schweigen kaum noch auszuhalten gewesen war. Er hatte sich vollständig aus dem gemeinsamen Leben zurückgezogen und war nur noch zum Essen aufgetaucht.
An diesem Abend hatten sie zum allerersten Mal darüber gesprochen. Sie wusste nicht, ob sie das gut oder schlecht finden sollte. Manchmal war es besser, die unangenehmen Dinge einfach zu vergessen.
Als sie an diese Zeit zurückdachte, die noch gar nicht lange hinter ihnen lag, fragte sie sich erneut, ob es klug gewesen war, Polly einzuladen. Andererseits wäre es völlig undenkbar gewesen, sie abzuweisen. Außerdem hatten sie und Gareth sich vorgenommen, andere an ihrem Wohlstand teilhaben zu lassen. Schließlich hätten sie sich vor zehn Jahren nicht einmal in ihren kühnsten Träumen vorgestellt, dass es ihnen jemals so gutgehen würde.
Damals, bevor sie nach Hackney gezogen waren, hatten sie zusammen in Gareths Mietwohnung in der Nähe von Elephant and Castle gehaust. Sie verfügte über zwei Schlafzimmer, allerdings durfte der Vermieter für das zweite keine Miete verlangen, weil es feucht und damit offiziell unbewohnbar war. Dieses »verbotene« Zimmer hatten sie zu Gareths Atelier umgebaut, und dort hatte er, der Not gehorchend, den großformatigen konzeptualistischen Installationen seiner Studententage abgeschworen. Stattdessen fing er an, mit Öl auf Holzstücke zu malen, die er draußen gefunden hatte – eine Technik, die später zu seinem Markenzeichen werden sollte. Das feuchte Raumklima hatte zur Folge, dass die Ölfarben langsamer trockneten, und er musste die Bilder ins Wohnzimmer stellen, wo sich ihre Dämpfe mit denen des Paraffinofens mischten.
Die Enge im Atelier begrenzte automatisch die Größe der einzelnen Bilder und definierte seinen Stil weiter. Zum Glück erwies sich das, was er aus reiner Notwendigkeit begonnen hatte, als kommerziell überaus erfolgreich, und das wiederum erlaubte es ihnen, dem Mieterdasein den Rücken zu kehren und eine Eigentumswohnung zu erwerben.
Dabei kam ihnen natürlich auch der Umstand zugute, dass Rose über ein regelmäßiges Einkommen verfügte. Ohne ihre Unterstützung hätten sie die Hypothek für die Wohnung in Hackney niemals finanzieren können. Darüber hinaus hatte sie durch ihre Arbeit im Schuldienst Anspruch auf einen
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