Angsthauch
Atmen. Damit ihre Lunge ein bisschen geschont wird«, erklärte Kate. »Und das hier und das hier und das hier …«, sie zeigte der Reihe nach auf alle Schläuche, die, von Verbänden verdeckt, in Flossies Körper verschwanden »… dient der Zufuhr von Flüssigkeit und Nährstoffen.«
»Und die hier?« Rose zeigte auf zwei lange rote Schläuche, die Flossies Körper mit einem surrenden Apparat verbanden.
»Die Maschine wäscht ihr Blut. Wir haben sie an die Dialyse angeschlossen, um die Nieren zu entlasten.«
»Kann ich sie stillen?«, flüsterte Rose und presste die Hand auf die feuchten Flecken vorn auf ihrem T-Shirt.
»Im Moment nicht, fürchte ich.« Kate nahm Rose in den Arm. »Aber sie hätte ohnehin keinen Hunger. Alles, was sie braucht, bekommt sie durch die Infusion.«
Rose betrachtete ihre kleine Tochter, die mehr Maschine als Mensch zu sein schien.
»Habt ihr denn alle Giftstoffe rausbekommen?«, fragte sie.
»Wir haben getan, was wir konnten, und den Effekt der Überdosis einigermaßen neutralisiert. Den Rest der Arbeit wird ihre Leber erledigen müssen. Ein Teil der Substanz war schon zu weit metabolisiert. Aber sie kämpft.«
Flossie war so winzig. Wie sie in dem Kasten auf dem Rücken lag, mit nichts als Pflastern und einer Windel am Leib, die Arme neben dem Kopf, Fäustchen geschlossen, sah sie aus, als hätte sie sich rückwärts entwickelt. Als hätte sie all ihre bisherigen Lebensmonate verloren und wäre wieder in einen zerbrechlichen, vorgeburtlichen Zustand zurückgefallen. Rose musste sie anfassen, aber sie konnte sie in dem Kasten durch das Gewirr von Schläuchen und Kabeln nicht erreichen.
»Hier an der Seite ist ein Loch«, sagte Kate und führte Roses Hand zu Flossies Bauch. Ihre nackte Haut fühlte sich an wie Seide, und Rose spürte – Gott sei Dank – das schwache Zittern von Leben unter ihren Fingerspitzen. Sie beschloss, sich nicht von der Stelle zu rühren, bis es Flossie besserging.
»Im Moment ist noch kein Bett auf der pädiatrischen Intensivstation frei«, erklärte Kate. »Deswegen muss sie leider erst mal hierbleiben.« Sie suchte einen Stuhl, den sie Rose hinstellte, damit diese sich setzen konnte, ohne Flossie loslassen zu müssen. »Es ist nicht ideal, aber ich habe sie gebeten, dir ein Klappbett aufzustellen.«
»Ich habe nicht die Absicht, zu schlafen«, sagte Rose leise.
»Ich weiß genau, wie du dich fühlst. Aber ganz im Ernst, Rose, du darfst nicht vergessen, dich auszuruhen. Die nächsten Tage werden sehr anstrengend werden. Du brauchst all deine Kräfte, für Flossie.«
»Danke, aber ich bleibe hier.«
»Ich muss jetzt los.« Kate legte ihr die Hand auf die Schulter. »In einer halben Stunde fängt meine Sprechstunde an. Ich rufe heute Nachmittag an, um mich nach ihr zu erkundigen.«
»Ja. Danke«, sagte Rose, ohne den Blick von Flossie abzuwenden.
»Mach’s gut.« Kate beugte sich vor, drückte Rose einen Kuss aufs Haar und ließ sie mit Flossie allein. Doch statt sich entfernender Schritte hörte Rose, wie Kate draußen vor dem Vorhang kurz stehen blieb und einen zitternden Seufzer ausstieß, wie Rose ihn noch nie von ihr gehört hatte.
Gott sei Dank gibt es noch gute Menschen auf der Welt, dachte sie.
18
R ose wusste nicht, wie lange sie dagesessen und durch das Loch im Plastikkasten Flossies Bauch gestreichelt hatte. Das regelmäßige Piepsen einer Maschine, von der sie wusste, dass sie dazu beitrug, ihr Kind am Leben zu erhalten, hatte auch ihr Kraft eingeflößt. Das trübe Licht, das durch die zugezogenen Vorhänge ihrer Nische sickerte, war allmählich heller geworden, und auf ihrem vornübergebeugten Rücken spürte sie wärmenden Sonnenschein.
Plötzlich fühlte sie zusätzlich zu der Wärme eine Berührung, und als sie sich umdrehte, stand Gareth da. Er hatte ihr die Hand auf die Stelle zwischen den Schulterblättern gelegt. Mit einem Ruck fiel ihr wieder ein, dass sie versprochen hatte, ihn anzurufen. Trotz seiner ablehnenden Haltung während der Schwangerschaft war Flossie genauso sehr sein Kind wie ihres.
Etwas, das sie oft vergaß.
»Kate hat heute Morgen auf ihrem Rückweg vom Krankenhaus angerufen«, erklärte er. »Ich konnte mir ja denken, dass du andere Sachen im Kopf hast.«
Rose wand sich. Sie wäre unter keinen Umständen von Flossies Seite gewichen, und selbst wenn sie ein Handy dabeigehabt hätte, hätte sie es nicht benutzt, aus Angst, dass es einen der lebensrettenden Apparate stören könnte.
»Tut mir
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