Angsthauch
verbieten konnte.
Sie zog die Decke fester um sich. Es lag an der Umgebung. Rose hasste Krankenhäuser. Krankenhäuser bedeuteten nichts als Verlust. Sie erinnerte sich noch genau daran, wie es ihr in einem anderen Krankenhaus ergangen war, damals in Brighton, vor mehr als zwanzig Jahren. Eine schlaffe, bluttriefende Hülle war sie gewesen. Und jetzt war sie hier und musste schon wieder Angst haben, dass sie ihr Baby verlor. Schon wieder …
Ich darf nicht daran denken, ermahnte sie sich. Das bringt Unglück. Sie hatte es sich geschworen. Also faltete sie die Erinnerungen fein säuberlich wieder zusammen und legte sie zurück an ihren Platz. Warum war sie damals nur so feige gewesen?
Die Zeit verstrich, ohne dass es Neuigkeiten von Flossie gegeben hätte. Dafür kam eine geschäftsmäßig, aber freundlich aussehende junge Frau und bat Rose in einen Nebenraum. Sie bot ihr einen niedrigen Stuhl mit hölzernen Armlehnen an und nahm ihr gegenüber an einem Resopaltisch Platz. Die Frau – Rose hatte ihren Namen gleich wieder vergessen – klappte einen Laptop auf und erkundigte sich nach Flossies Namen, Geburtsdatum und ihrer Adresse.
»Ein schönes Dorf«, meinte sie und lächelte Rose über den Tisch hinweg an.
»Ja.« Rose starrte auf ihre Füße.
»Also. Flossie ist ein ungewöhnlicher Name. Ist das eine Koseform?«
»Nein, sie heißt Flossie«, sagte Rose.
»Sie wurde nicht oft untersucht, stimmt’s?«, fragte die Frau mit glockenheller Stimme. Genau wie der Notarzt schien auch sie viel zu jung zu sein für eine verantwortungsvolle Position. Auf ihren Wangen waren noch die Überbleibsel einer Akne zu sehen.
»Was?« Rose verstand nicht.
»Von einem Arzt. Sie waren mit ihr nicht oft beim Arzt. Außerdem gibt es keine Eintragung, dass Sie von einem Mitarbeiter des Jugendgesundheitsdienstes begleitet wurden.« Die Frau ging etwas am Bildschirm durch, runzelte die Stirn und lehnte sich ein wenig zurück.
»Es war mal eine da, aber sie ist nicht wiedergekommen«, erwiderte Rose. »Sie hat gemeint, wir würden das gut allein schaffen, und wenn wir was bräuchten, sollten wir uns einfach melden.«
»Verstehe.« Die Frau sah auf. Wieder lächelte sie. »Das wird meistens so gehandhabt, wenn die Mitarbeiterin den Eindruck hat, dass eine Mutter allein zurechtkommt. Vor allem, wenn es nicht das erste Kind ist. Kürzungen, Sie wissen schon.« Ihr Blick ging wieder zum Bildschirm, und sie tippte etwas ein. »So, Rose, jetzt müsste ich Ihnen noch ein paar Fragen stellen. Über Ihr häusliches Umfeld. Damit wir uns ein umfassendes Bild machen können.«
»In Ordnung«, sagte Rose. Wozu brauchte dieses junge Ding so viele Informationen, noch dazu in einem Moment, wo alles, was zählte, war, ob Flossie wieder gesund wurde oder nicht?
»Haben Sie rezeptfreie Arzneimittel im Haus?«
»Ein paar. Nicht viele, nur Paracetamol, Aspirin und so. Calpol.«
»Und wo bewahren Sie die auf?«
»In einer Kiste. Auf dem obersten Regal in der Kammer.«
»Außerhalb der Reichweite von Kindern?«
»Ja.« Rose wollte weglaufen und sich irgendwo verkriechen. Sie suchte das Zimmer nach Fluchtmöglichkeiten ab: Tür, Fenster, Ritzen zwischen den Fußleisten.
»Nimmt irgendjemand in Ihrem Haushalt verschreibungspflichtige Medikamente ein?«
»Polly.«
»Wer?«
»Polly – sie ist bei uns zu Gast. Sie wohnt aber nicht im Haus, sondern auf der anderen Seite des Gartens.«
»Aha.«
»Im Nebengebäude.«
»Verstehe. Und gibt es jemanden in Ihrem Haushalt – ich zähle dieses Nebengebäude einmal dazu –, der möglicherweise illegale Substanzen konsumiert?«
»Eigentlich nicht.«
»Eigentlich nicht?«
Plötzlich wurde Rose argwöhnisch. »O mein Gott – Sie sind von der Polizei, stimmt’s?«
»Nein, ich bin nicht von der Polizei. Ich bin die Sozialarbeiterin des Krankenhauses. Ich bitte um Entschuldigung, ich dachte, ich hätte mich vorgestellt. Schauen Sie, diese Fragen sind eine notwendige Formalität in Fällen wie diesem. Wenn zum Beispiel ein Kind mit Verbrennungen zu uns kommt – oder mit irgendeiner Verletzung, die so aussieht, als rühre sie von einem Unfall her, die aber genauso gut das Ergebnis von Vernachlässigung oder Missbrauch sein könnte. Oder auch mit einer Vergiftung. Das ist in solchen Fällen Routine, Rose. Es heißt nicht, dass Sie unter Verdacht stehen, aber wir müssen sämtliche Möglichkeiten in Erwägung ziehen. Jede Situation ganz nüchtern betrachten. Ich bin sicher, Sie verstehen
Weitere Kostenlose Bücher