Angsthauch
bestand aus einem großen offenen Raum mit einzelnen, durch Vorhänge voneinander abgetrennten Nischen, in denen neben den kleinen Patienten auch ihr Gefolge aus übernächtigt wirkenden Eltern oder Großeltern Platz hatte. Alles in allem war es wesentlich angenehmer als die Ecke in der Notaufnahme, in der sie die vergangenen Stunden verbracht hatten. Flossie verfügte über einen eigenen kleinen Bereich mit einem bequemen Sessel, den man zu einem Bett ausklappen konnte. Es gab sogar einen Fernseher – nicht dass es Rose im Traum eingefallen wäre, ihn einzuschalten. Sie konnte sich auf nichts anderes konzentrieren als auf Flossie, die noch immer im künstlichen Tiefschlaf lag.
Die neue Schwester stellte sich vor. Im Gegensatz zu der Schwester in der Notaufnahme war sie ruhig und unaufdringlich. Alle halbe Stunde überprüfte sie Flossies Apparate und versicherte Rose dabei jedes Mal, dass es ihrer Tochter gutgehe.
Was auch immer das heißen soll, dachte Rose.
Sie hasste es, von lauter winzigen, halblebendigen Babys umgeben zu sein.
Einige Zeit später wurde es plötzlich laut auf der Station, und eine Welle der Unruhe schwappte vom Schwesternzimmer zu ihnen herüber. Gleich darauf kam Gareth auf Rose und Flossie zugestürzt. In einer Hand trug er einen Rucksack, mit der anderen hielt er Pollys Handgelenk umfasst. Er schleifte sie hinter sich her wie ein widerspenstiges Kind oder einen Gefangenen. Er sah aus wie ein Wahnsinniger.
»Ich konnte euch nicht finden.« Er schnappte nach Luft. »Ich dachte schon – Scheiße, warum hat mir niemand gesagt, dass ihr verlegt wurdet?«
Ein spürbarer Ruck ging durch die Station, als sämtliche Angehörigen aufsahen und die Ursache der Ruhestörung ins Visier nahmen.
»Bitte, Sir, Sie müssen etwas leiser sein.« Die Schwester trat auf ihn zu.
Er ignorierte sie und wandte sich an Rose. »Ich dachte schon, sie ist – niemand hat mir gesagt –«
»Tut mir leid, dass Sie einen Schreck bekommen haben«, sagte die Schwester, die sich nicht ohne weiteres abwimmeln ließ. »Aber schauen Sie, Flossie ist hier, und es geht ihr gut.« Sie beugte sich zu Rose und legte ihr den Arm um die Schultern. »Ist es in Ordnung für Sie, wenn er hierbleibt?«, fragte sie.
»Ja, danke, er darf ruhig bleiben.« Rose schenkte der Schwester ein mattes Lächeln.
»Hören Sie«, sagte Gareth zur Schwester, wobei er seine Stimme mühsam beherrschte. »Ich konnte sie einfach nur nicht finden, kapiert?« Er fiel vor Rose auf die Knie, schlang die Arme um sie und vergrub das Gesicht an ihrer Schulter. Rose wurde klar, dass er weinte.
Polly, die wie gestrandet in der Mitte des Raums stand, wirkte nervös und verloren.
»Gott sei Dank geht es euch beiden gut«, seufzte Gareth, als er endlich zu Rose aufblickte.
»Du warst Ewigkeiten weg« war alles, was sie sagen konnte.
»Es war ein ziemliches Chaos zu Hause«, sagte Gareth. »Lange Geschichte. Wie geht es ihr?« Er drehte sich zu Flossie um und steckte die Hand in den Kasten, damit er sie am Bauch streicheln konnte. »Sie scheint ein bisschen Farbe bekommen zu haben.«
Rose konnte nichts dergleichen erkennen, nickte aber.
»Die Polizei war vorhin da«, zischte Gareth ihr zu. »Und hat gefragt, ob wir Drogen im Haus haben. Sie haben sie vernommen.« Er deutete auf Polly. »Ich habe ihnen ihre Tabletten gezeigt. Zum Glück haben sie nicht das Haus durchsucht. Ich habe trotzdem das Gras im Klo runtergespült, nur zur Sicherheit. Falls sie noch mal mit Hunden wiederkommen oder so.«
»Das war klug«, murmelte Rose, die noch immer nach den Anzeichen der Besserung suchte, die Gareth an Flossie wahrgenommen haben wollte.
»Ich habe sie mitgebracht, wie du gesagt hast.« Wieder zeigte er auf Polly, ohne sie dabei anzusehen. »Aber das ändert nichts an meiner Entscheidung.«
»Lass mich mit ihr reden«, bat Rose.
»Zehn Minuten. Ich hole mir einen Kaffee, dann komme ich wieder.« Er durchmaß die Station mit großen Schritten, ein Riese im schmutzigen Wildledersakko. Polly würdigte er keines Blickes, als er an ihr vorbeiging.
Polly stand ganz still da und zwirbelte sich eine lange Haarsträhne um den Zeigefinger. Ein nervöses Lächeln umzuckte ihren Mund.
»Komm her«, sagte Rose und deutete auf den Stuhl neben sich. »Und schau sie dir an.«
»O Gott.« Polly trat ans Fußende von Flossies Kasten und stand dort wie ein tragischer Engel auf einem viktorianischen Stich. Rose fiel auf, dass sie makellos zurechtgemacht war, in einem
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