Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Angsthauch

Angsthauch

Titel: Angsthauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Crouch
Vom Netzwerk:
winzige Ding wurde nur noch von Apparaten am Leben gehalten und hatte nie wirklich eine Chance gehabt.
    Rose hörte, wie die Ärztin den am Boden zerstörten Eltern mit sanfter Stimme erläuterte, dass es keine Hoffnung mehr gebe, und sich die Erlaubnis einholte, die Maschinen abzuschalten, die ihr Kind noch mit dem Diesseits verbanden.
    Die Mutter stieß einen gequälten Laut aus. Sie war erst wenige Monate schwanger gewesen, als ihr Körper das Baby ausgestoßen hatte. Die Aussichten waren von Anfang an schlecht gewesen, und doch war die Verzweiflung genauso groß wie die, von der Rose wusste, dass sie sie empfinden würde, sollte Flossie das Undenkbare zustoßen. Verlust, das wusste Rose nur zu gut, war die schlimmste Form der Verzweiflung. Vor allem – und bei dem Gedanken zog sich ihr Herz so heftig zusammen, dass sie dachte, sie würde ohnmächtig werden –, wenn es um ein Kind ging. Ein Baby, das man nie im Arm halten, nie lieben, nie kennenlernen würde.
    Die Schwestern begleiteten die beiden hinaus. Nun, ohne Kind, hatten die schluchzende Frau und ihr grauer Geist von einem Mann von einer Sekunde auf die andere ihre Aufenthaltsberechtigung verloren. Jeder Erwachsene im Raum schickte ein stilles Dankgebet gen Himmel, dass es jemand anderen getroffen hatte, und alle verfolgten den Abgang des seiner Elternschaft beraubten Paars.
    Gareth kam zweimal täglich, einmal vormittags und einmal abends. Am ersten Abend brachte er neben Anna auch Nico und Yannis mit. Die Jungs waren fasziniert von den Apparaten und den Utensilien medizinischer Säuglingspflege. Im Gegensatz zu Anna zeigten sie keinerlei Scheu, sondern fingen sofort an, Fragen zu stellen, Sachen auszuprobieren und Unruhe zu stiften, wie nur sie es konnten. Mehrfach mussten die Schwestern sie ermahnen, leiser zu sein. Als der Besuch gegangen war, nahm die Oberschwester Rose kurz zur Seite. Eigentlich sei auf der Station immer nur ein Geschwisterkind auf einmal erlaubt. Ob ihre Söhne demnächst getrennt kommen könnten?
    Polly hingegen ließ sich nicht blicken. Allein konnte sie nicht kommen, da sie einer der wenigen Menschen war, die es zu Roses großem Erstaunen geschafft hatten, erwachsen zu werden, ohne einen Führerschein zu machen. Oder schwimmen zu lernen, und das, obwohl sie den Großteil ihres Lebens in unmittelbarer Nähe zum Meer verbracht hatte. Als sie jünger gewesen war, hatte sie einmal scherzhaft gemeint, dass sie sich um ihr komplexes Innenleben kümmern müsse, wovon das Erlernen praktischer Fertigkeiten sie bloß abhalte.
    Aber Polly kam auch nicht gemeinsam mit den anderen. Wenn Gareth früh am Morgen ins Krankenhaus fuhr, war sie natürlich noch nicht wach, aber Rose verstand nicht, wieso sie nicht abends kommen konnte.
    »Sie schämt sich«, sagte Gareth. »Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass sie neben allem anderen auch noch Christos’ Tod zu verarbeiten hat. Aber sie wünscht dir alles Liebe.«
    »Hm«, machte Rose.
    Auch Kate kam täglich vorbei, und Simon sowie einige Eltern aus der Schule übersandten ihr Genesungswünsche. Besuchen durfte sie allerdings sonst niemand. Auf der Station waren nur die engsten Angehörigen erlaubt, um das Infektionsrisiko gering zu halten.
    Gareth brachte Rose jedes Mal etwas zu essen mit. Er war stets ein guter Koch gewesen, hatte aber seit der Geburt der Kinder Rose das Feld überlassen. Dass er in ihrer Abwesenheit in die Küche zurückgekehrt war, verstärkte ihr Gefühl von Hilflosigkeit nur noch: So sehr war sie von allem abgeschnitten, dass sie nicht einmal ihre Familie bekochen konnte. Stattdessen blieb alles an Gareth hängen. Er machte Samosas, kleine Kuchen, Tabbouleh, Pizzen, Tortillas und Pies – Unmengen von Pies, wie es sich für einen echten Amerikaner gehörte. Rose war dankbar für die mit Bedacht zubereiteten kleinen Häppchen. So war sie nicht auf das ungenießbare Zeug angewiesen, das in der Krankenhauscafeteria als Essen verkauft wurde.
    Wenn Gareth die Station betrat, drehten sich sofort alle Frauen nach ihm um, und auf ihren Gesichtern spiegelte sich eine milde Belustigung, als wäre er Teil des großen Witzes namens Rose. Als er ihr das erste Mal etwas zu essen dagelassen hatte, war Rose herumgegangen und hatte den anderen Müttern etwas davon angeboten. Niemand hatte etwas genommen. Eine Frau hatte beim Anblick der kleinen Pastetchen sogar das Gesicht verzogen, als hätte sie Angst, sie könne sich damit vergiften.
    Neben dem Essen hatte Gareth auch jedes Mal

Weitere Kostenlose Bücher