Angsthauch
eine Flasche Laphroaig dabei, von der Rose und er tranken, während sie gemeinsam bei Flossie saßen. Am zweiten Abend brachte er außerdem eine Flasche Rioja, damit sie etwas zu trinken hatte, wenn sie allein war. Die würde sie gewiss nicht anbieten. Die Missbilligung der anderen Mütter, als Rose mit ihrem Wein dasaß, war deutlich zu spüren, aber nach dem zweiten Glas kümmerte es sie nicht mehr. Wie sollte man so etwas sonst durchstehen?
Allmählich sah Flossie wieder kräftiger aus. Am vierten Tag auf der Station wurde sie von der Dialyse genommen und extubiert.
»Sie atmet wunderbar«, sagte strahlend eine junge polnische Krankenschwester mit Grübchen in der Wange.
Wie traurig, dachte Rose, sich zu freuen, weil das eigene Kind selbständig atmen kann.
Flossies Farbe veränderte sich, die von Ausschlag gezeichnete blasse Haut wurde wieder rosig. Der Griff ihrer Hand wurde mit jeder Stunde fester, und von Zeit zu Zeit flatterten ihre Lider, die mittlerweile weniger durchscheinend aussahen und wieder den Eindruck erweckten, als liege hinter ihnen etwas Greifbares, Beständiges.
Rose berichtete den Schwestern und Ärzten von den Veränderungen, diese allerdings zogen weiterhin ihre eigenen, weniger subjektiv gefärbten Diagramme und Messwerte heran. Aber auch sie mussten in Flossies Entwicklung Anlass zur Hoffnung gefunden haben, denn Schritt für Schritt wurde die Dosis des Sedativums herabgesetzt.
Am sechsten Tag wurde Floss aus dem Tiefschlaf geholt. Rose durfte sie halten und sogar an die Brust legen. Sie weinte und weinte, als sie das vertraute Ziehen an der Warze spürte, das Schmatzen und Schnaufen hörte. Zuerst hatte Flossie Schwierigkeiten, aber schließlich fand sie ihren Rhythmus, und mit ihm stellte sich die Hoffnung ein, dass alles besser werden und irgendwann wieder so sein würde wie früher.
Flossie wurde aus dem Plastikkasten in ein kleines Bettchen verlegt. Rose hatte den Verdacht, dass dies mehr aus psychologischen denn aus medizinischen Gründen geschah. Es signalisierte, dass sie über den Berg war; dass sie bald wieder nach Hause konnten.
Am selben Tag brachte Gareth Polly mit ins Krankenhaus. Er hatte eine Hand in ihrem Kreuz und musste sie vorwärtsschieben, als widerstrebe es ihr, hier zu sein. Mit hängendem Kopf trat sie neben Rose, so wie ein ungezogenes Kind vor seine Schuldirektorin tritt. Rose musterte sie schweigend. Sie fand, dass Polly ein bisschen besser aussah als bei ihrer Ankunft. Gareths Kochkünste schienen ihr gutzutun.
»Dann lasse ich euch zwei mal ein Weilchen allein«, meinte Gareth und trat einen Schritt zurück. »Ich fahre kurz zu Waitrose, ein paar Sachen einkaufen.«
Er küsste sie beide – Rose auf den Mund und Polly auf die Wange –, dann ging er. Polly sah ihm nach, bevor sie sich zu Rose umwandte.
»Es tut mir so leid, dass ich nicht früher gekommen bin.«
»Gareth hat’s mir gesagt.«
»Es war ziemlich schwer für mich, das alles zu verdauen.«
»Mach dir deswegen keinen Kopf.«
Polly trat zu Flossies Bett. »Sie sieht schon viel besser aus. Als würde sie bloß schlafen.«
»Sie schläft ja auch bloß«, sagte Rose.
Polly beugte sich über das Bett und streichelte Flossies Wange. Rose war überrascht, wie heftig der Drang in ihr war, Pollys Hand von ihrem Baby wegzureißen und sie beiseitezustoßen. Es nicht zu tun, kostete sie all ihre Selbstbeherrschung.
»Hallo, Flossie«, flüsterte Polly. Zwei lange dunkle Haare fielen von ihrem Kopf herunter auf Flossies Gesicht. Rose beugte sich vor und nahm sie weg. Polly sah zu ihr hoch.
»Rose, es tut mir ehrlich leid. Ich bin so ein Idiot.«
»Können wir diese ewigen Entschuldigungen sein lassen?«, fragte Rose. Viel länger würde sie es nicht aushalten.
Polly nahm Roses Hände und hielt sie fest umklammert. Sie kniff die Augen zu. »Danke«, sagte sie nach langem Schweigen. Dann machte sie die Augen wieder auf. Es schimmerten Tränen darin.
»Setz dich. Ich hole uns einen Tee.«
Als Rose mit zwei vollen Bechern aus der Elternküche zurückkam, musste sie feststellen, dass Polly Flossies Bett verlassen hatte und sich mit der Mutter unterhielt, die Roses Pasteten abgelehnt hatte. Rose stellte den Tee auf Flossies Nachtschränkchen ab. Als Polly zurückkam, war sie heiter wie ein Tag im Hochsommer.
»Worüber habt ihr denn geredet?«, erkundigte sich Rose, als sie Polly ihren Becher reichte.
»Ach, über dies und das«, meinte Polly. »Sie hat versucht, sich einen Reim drauf zu
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