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Angsthauch

Angsthauch

Titel: Angsthauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Crouch
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noch die Jungs. Vielleicht konnte Polly gehen und die Jungs bei ihnen lassen? Das wäre doch sicherlich das Beste für alle? Selbst als sie diesen Gedanken als lächerlich verwarf, wünschte sie sich noch, dass es so kommen würde.
    Sie ging zurück auf die Station, den Pappbecher mit brühheißem Kaffee fest in der Hand. Die anderen Eltern sahen auf, als sie an ihnen vorbeiging. Sie versuchte zu lächeln, aber ihr Gesicht gehorchte ihr nicht. Gab es einen bestimmten Verhaltenskodex für solche Situationen? Sie hatte das Gefühl, als würden die anderen sie abschätzen. Als spielten sie nach Regeln, die ihr unbekannt waren; als gäbe es eine besondere Klasse um ihre Säuglinge bangender Eltern, der sie nicht angehörte. Für Rose sahen sie alle gleich aus – bleich und abgespannt. Wie lange würde es dauern, bis sie eine von ihnen wurde?
    Sie war froh, wieder bei Flossie zu sein und ihre ganze Aufmerksamkeit auf das richten zu können, was jetzt am wichtigsten war. Sie löste die Schwester ab und setzte sich. Sie trank ihren Kaffee und schlang den Donut herunter. Sie hatte gar nicht gemerkt, wie hungrig sie war.
    Dann versuchte sie, in ihrem Buch zu lesen. Gareth hatte die Stelle, an der sie es zwei Abende zuvor aufgeschlagen neben das Bett gelegt hatte, vorsorglich mit einem Lesezeichen markiert. Aber es war zwecklos; ihre Augen glitten immer wieder über dieselben Wörter, sie nahm nichts wirklich auf. Also blätterte sie in einer der Zeitschriften, die ihr die Schwester gebracht hatte. Die abgegriffenen Seiten mit ihrer schrillen Aufmachung und den knallbunten Fotos teurer Kleider widerten sie an. Wie konnte so etwas über haupt existieren, in demselben Raum, in dem ihre todkranke Tochter lag? Schließlich schaltete sie den Fernseher ein und verfolgte die Parade gescheiterter Existenzen in der Jeremy Kyle Show . »Meine beste Freundin hat mein Baby mit Pillen vergiftet« hätte auch eine spannende Folge abgegeben, fand sie.
    Sie konnte förmlich spüren, wie ihr freier Wille und ihr Selbstwertgefühl Tropfen für Tropfen aus ihr heraussickerten. Ihre Welt schrumpfte zu einer winzigen Blase, die nur sie, Flossie und den Fernseher enthielt. Sie war kurz davor, einzudämmern, als Unruhe durch die Station ging. Es war die morgendliche Visite der behandelnden Fachärztin samt Gefolge. Die Ärztin, eine hochgewachsene Frau mit scharfer Nase, die Rose bislang noch nicht zu Gesicht bekommen hatte, steuerte gleich als Erstes auf ihre Nische zu.
    »Das ist also die kleine Patientin Cunningham«, sagte die Ärztin zur Schwester, die neben ihr stand.
    Die Schwester reichte ihr das Klemmbrett, das am Fußende von Flossies Kasten steckte. Rose hatte bereits versucht, die Aufzeichnungen darauf zu entziffern, aber trotz herausragender Biologienoten während der Schulzeit hatte sie von den Tabellen und Diagrammen, die Flossies Zustand definierten, nicht das Geringste verstanden.
    Die Ärztin studierte das Krankenblatt. Rose fragte sich, ob sie im Laufe des Morgens unsichtbar geworden war.
    »Und das ist die Mutter?«, fragte die Ärztin die Schwester nach einer ganzen Weile.
    »Rose Cunningham«, stellte Rose sich vor, stand auf und streckte der Frau die Hand hin. Plötzlich war ihr wieder eingefallen, dass sie Herrin der Lage bleiben musste, sowohl um Flossies Gesundheit als auch um ihrer eigenen Würde willen.
    »Hallo. Nun, die kleine … Flossie hat noch mal Glück gehabt«, meinte die Ärztin.
    Rose fragte sich, ob das eine Anschuldigung sein sollte.
    »Mrs Cunninghams Bekannte hat ihre Antidepressiva in Reichweite des Kindes liegen lassen«, warf die Schwester ein. Wenn sie sich genötigt fühlte, Rose auf diese Art und Weise in Schutz zu nehmen, dann war die Bemerkung der Ärztin wohl in der Tat eine Anschuldigung gewesen.
    »Es sieht so weit alles gut aus, Mrs Cunningham. Wir werden heute im Laufe des Tages prüfen, ob wir bei Flossie die künstliche Beatmung abschalten können. Ihre Blutwerte sind in Ordnung, das heißt, in ein, zwei Tagen werden wir darüber nachdenken, sie von der Dialyse zu nehmen.«
    Ein, zwei Tage – in Roses Ohren klang das wie eine Ewigkeit.
    »Haben Sie noch irgendwelche Fragen?«, wollte die Ärztin wissen.
    »Äh, ich glaube nicht, nein«, murmelte Rose. Ihr Kopf war wie leergefegt. Sie war sich sicher, dass es irgendetwas gab, was sie dringend hätte fragen sollen. Vielleicht würde es ihr später wieder einfallen. Dann würde sie es sich aufschreiben, für das nächste Mal.
    *
    Kurze Zeit

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