Angstpartie - Thriller
stehen. Er war ziemlich groß und hatte sich eine Baseballmütze ins Gesicht gezogen. Liz konnte also nur vermuten, dass er etwa zwischen dreißig und fünfzig Jahre alt war. Er trug eine Gärtnerschürze und hielt eine Rebschere in der rechten Hand. Damit winkte er Liz gleichgültig, dann wandte er sich wieder einem Rosentrieb zu. »Entschuldigen Sie bitte!« Liz ging über den Rasen auf den Mann zu. Er wandte sich auffällig langsam um, sah ihr aber nicht ins Gesicht.
»Ich suche Mr Marcham. Ist er zu Hause?« Sie überlegte, ob sie Marcham in diesem Moment gegenüberstand. Doch die Bilder, die sie von ihm gesehen hatte, zeigten ein kantiges, englisches Gesicht. Dieser Mann dagegen hatte einen dunklen Teint und wirkte südländisch.
Er schüttelte den Kopf und wandte sich ab. »Ich habe ihn heute noch nicht gesehen. Haben Sie geklingelt?«
»Ja. Aber es macht niemand auf. Wissen Sie zufällig, wo ich ihn finden kann?«
Der Mann drehte ihr den Rücken zu. »Tut mir leid. Aber wenn ich hier bin, ist er selten da.«
»Aha«, sagte Liz. Sie überlegte, ob sie eine Nachricht hinterlassen sollte. »Vielen Dank.« Der Mann nickte schweigend und schnitt weiter an den Rosen herum.
Draußen auf der Straße starrte sie so eindringlich auf das Haus, als könnte sie Chris Marcham allein mit der Kraft ihrer Gedanken herbeizwingen. Wo er sich wohl aufhielt? Ihre Quelle bei der Sunday Times hatte gesagt, er habe weder Frau noch Kinder und auch sonst keine Angehörigen. »Ziemlicher Einzelgänger«, hatte der Mann hinzugefügt. Liz verwünschte Marcham stumm. Wenn er wirklich so menschenscheu war, hätte er doch einfach zu Hause bleiben können.
Völlig abgebrannt war er sicher nicht, dachte sie auf dem langen Weg zurück zur U-Bahn. Sein Haus war zwar klein und ziemlich heruntergekommen, aber es stand in Hampstead, und zwar am Rand der Heidefläche. Eine solche Immobilie war eine gute Alterssicherung. Und er konnte sich einen Gärtner leisten - auch wenn dieser, nach dem Zustand der verwilderten Blumenbeete zu urteilen, nicht gerade ein Glücksgriff war. Seltsamer Typ, dachte Liz, der nun plötzlich auffiel, dass der Mann keine für die Gartenarbeit geeigneten Schuhe getragen hatte. In derlei feinen Slippern setzte man sich besser in eine noble Bar, statt sich damit in ein Blumenbeet zu stellen. Was hatte er dort eigentlich genau getan? Die Rosen geschnitten!
Liz blieb plötzlich wie angewurzelt stehen. Man musste nicht wie ihre Mutter ein Garten-Center leiten, um zu ahnen, dass hier etwas nicht stimmte. Kein Mensch beschnitt im August Rosen. Was immer dieser Mann sein mochte, ein Gärtner war er auf keinen Fall.
Liz überlegte hektisch, was sie tun sollte. Sie war kaum hundert Schritte vom Haus entfernt. Sollte sie die Polizei rufen? Sie zögerte. Vielleicht war es besser, wenn sie erst selbst zurückging und nachsah, was der Mann wirklich trieb.
Bis die Polizei eintraf, konnte er längst über alle Berge sein. Ganz wohl war ihr nicht bei dem Gedanken. Doch dann gab sie sich einen Ruck und rannte zu dem kleinen Haus zurück. Schon am Gartentor sah sie, dass die Haustür weit offen stand. Erst verlangsamte sie ihren Schritt, doch dann trat sie beschwingt ein und rief laut: »Hallo?«
Stille. Sie stand in einer schmalen Diele, neben sich die offene Tür zu einem trostlos wirkenden Wohnzimmer. Darin stand in einer Ecke ein Fernseher auf einem billigen Schränkchen, beides mit einer dicken Staubschicht bedeckt. Es gab ein fleckiges, abgewetztes Sofa, das dringend aufgepolstert gehörte. Der Couchtisch war mit Zeitungen und Magazinen bedeckt. Mr Marcham brauchte keinen Gärtner, dachte Liz, sondern eine Putzfrau.
Vor ihr führte der Flur zu einer geschlossenen Tür. Sie ging hin, drehte leise den Knauf und stieß sie dann abrupt auf. Ihr Blick fiel in eine kleine quadratische Küche. Im Spülbecken türmte sich schmutziges Geschirr, auf dem Holztisch in der Mitte stand eine geöffnete Packung Frühstücksflocken. In der hinteren Küchenwand gab es zwei weitere Türen. Eine war geschlossen, die andere führte allem Anschein nach in ein Schlafzimmer. Liz warf einen Blick in den Raum. Sie sah ein ordentlich gemachtes Messingbett. Auf dem Nachttisch lag eine zerlesene Ausgabe von England’s Thousand Best Churches , einem Standardwerk über englische Kirchen, an der Wand hing ein gerahmtes Bild von Jesus am Kreuz.
Plötzlich hörte sie ein Geräusch. Im Zimmer nebenan wurde irgendetwas Hölzernes über den Boden geschoben.
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