Angstpartie - Thriller
Rollkragenpullover. Das Glas war wie durch ein Wunder nicht zerbrochen. Er hob es auf. »Das tut mir wirklich sehr leid«, bekräftigte er noch einmal.
»Machen Sie sich keine Gedanken«, erwiderte Hannah. »Das ist nicht weiter schlimm.«
»O doch«, widersprach er. »Ich hole Ihnen ein neues Glas.«
»Das ist wirklich nicht …«, protestierte Hannah. Doch er war schon fast an der Bar.
Trotz des Getümmels kam er nach kaum einer Minute zurück und brachte ihr ein neues Getränk, in dem kleine Bläschen aufstiegen. »Ich hoffe, Sie mögen Champagner.« Er überreichte Hannah das Glas mit einer angedeuteten Verbeugung.
Sie wurde verlegen. »Wirklich sehr nett von Ihnen.« Sie nahm einen Schluck.
»Das war ich Ihnen schuldig.«
Hannah war verwundert, dass er keine Anstalten machte, zu gehen, sondern bei ihr stehen blieb. »Das ist sehr zuvorkommend. Aber Sie wollen sicher zu Ihren Freunden zurück.«
Er lächelte. »Ich bin allein hier.« Er sprach fließend Englisch, hatte aber einen leichten Akzent, den sie nicht zuordnen konnte.
»Ich auch«, sagte Hannah.
»Leben Sie hier in London?«
»Nein, in Tel Aviv.«
»Tatsächlich?«, fragte er ungläubig. »Sie sind aus Israel? Ich auch.«
»Na ja, eigentlich bin ich Amerikanerin. Nach Israel bin ich erst vor einem Jahr gezogen.«
»Wie ungewöhnlich«, bemerkte er. »Sie verhalten sich gegen den Trend. Die Hälfte meiner Generation ist gerade dabei, in die Staaten auszuwandern.«
Sie unterhielten sich noch eine Weile und stellten fest, dass es in der überschaubaren israelischen Gemeinschaft Leute gab, die sie beide zu ihren Freunden zählten. Als die Glocke zum zweiten Akt ertönte, war Hannah regelrecht enttäuscht.
»O je«, sagte er. »Wie schade. Ich sollte mich vorstellen, mein Name ist Danny Kollek. Ich arbeite in der Botschaft hier in London.«
»Hannah Gold.« Sie reichten einander die Hände.
»Ich überlege gerade …«, sagte Kollek zögernd.
»Ja?« Hannah bemerkte, dass sich die Bar schon fast wieder geleert hatte.
»Hätten Sie Lust, nach dem Stück mit mir essen zu gehen?«
Eigentlich hatte Hannah geplant, mit dem Taxi zu Davids Haus zurückzufahren und zeitig schlafen zu gehen. Doch dieser Mann war ihr sympathisch und seine Aufmerksamkeit schmeichelte ihr.
»Warum nicht?«, antwortete sie schließlich.
Sein Lächeln machte ihn noch anziehender. »Dann treffen wir uns nachher vorn beim Ausgang«, sagte er fröhlich, gerade als es das letzte Mal zum zweiten Akt klingelte.
Bis zum Ende des Stücks war Hannah fast sicher, dass sie Danny nicht wiedersehen würde. Warum sollte ein Mann wie er eine ältere Frau zum Essen ausführen? Umso überraschter war sie, als sie ihn draußen vor dem Eingang auf dem Bürgersteig stehen und nach ihr Ausschau halten sah.
Sie gingen in ein Restaurant in St. James, ein großes, modernes Lokal mit hoher Decke, pastellfarbenen Säulen und Spiegeln an den Wänden. Danny hielt das Gespräch mühelos in Gang. Er konnte amüsant und unterhaltsam sein, war aber durchaus auch gewillt, über ernste Dinge zu reden. Und zuzuhören. Was Hannah sagte, schien ihn tatsächlich zu interessieren - nach über dreißig Jahren mit Saul eine erfrischende Abwechslung. Sie unterhielten sich über das Theater, über Musik und die seltsamen Gewohnheiten der Briten. Als er sie nach ihren Eindrücken von
London fragte - er selbst lebe seit zwei Jahren hier, sagte er -, erklärte sie, in der Hoffnung, das klinge nicht zu banal: »Alles ist so anders hier. Man hat fast das Gefühl, dass irgendetwas fehlt.«
Er sah sie über die Vorspeisenteller hinweg an. »Sie wissen, was das ist, nicht wahr?«
»Halva?«, fragte sie scherzhaft.
Danny lachte laut und Hannah fiel auf, wie weiß sich seine Zähne gegen seine wahlnussfarbene Haut abhoben. Wahrscheinlich war er ein Sabra, ein gebürtiger Israeli. Doch aus welchem Land seine Eltern stammten, war schwer zu sagen.
Dannys Lächeln wich einem ernsteren Ausdruck. »Hier gibt es keine Angst. Ja, ich weiß, die IRA hat in London jahrelang Anschläge verübt, und nach den Vorfällen im Juli konnte man die Verunsicherung und das Misstrauen in den Augen der Menschen sehen. Aber das war nicht von Dauer, denn Frieden ist hier der Normalzustand. Wenn die Leute morgens aus dem Haus gehen, tun sie es in der Erwartung, abends sicher und unversehrt zurückzukehren.«
»Sie hören sich wie ein waschechter Israeli an«, stellte Hannah fest. Aber er hatte recht. In Tel Aviv lebte man in
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