Angstschrei: Thriller
Kälte, Hunger und mangelnde Beute hatten die einsamen Wölfe veranlasst, ihren ganzen Missmut in den Nachthimmel zu heulen. Wenn sie überleben wollten, dann brauchten sie etwas Warmes, das sie töten konnten.
McCabe folgte Abby Quinns Wegstrecke um die Biegung herum und auf die Gerade. Die mächtige Fensterwand in der Mitte des ersten Stockwerks kam in Sicht. Hatte Abby das Kerzenlicht sofort wahrgenommen? Wenn sie auf einer eisglatten Straße gejoggt war, dann hatte sie vielleicht trotz der Spikes zu Boden geschaut, hatte also nur gelegentlich den Blick gehoben.
McCabe trat selbst nur sehr vorsichtig auf, genau wie Maggie. Er stellte sich vor, wie ihm ein slapstickreifer Ausrutscher passierte, der Stummfilm-Komiker und die Bananenschale. Auf einen Ausflug ins Krankenhaus wegen irgendwelcher gebrochenen Knochen konnte er allerdings gut verzichten.
Dann stand er vor der Steintreppe, die von der Straße auf den Gartenpfad führte. Spätestens hier musste Abby das flackernde Licht im Fenster gesehen haben. Er stellte sich vor, wie sie hin und her überlegte, was sie unternehmen sollte. Hatte sie ein Handy dabei? Und wenn ja, warum hatte sie nicht die Polizei gerufen? Vielleicht, weil sie davon ausging, dass die einer Irren sowieso nichts glauben würden? Sie hätte richtig gelegen.
Was hatte Abby empfunden, als sie hier gestanden hatte? Neugier? Angst? Oder waren es weniger rationale Dinge gewesen? Hatte die Psychose sie vielleicht schon fest im Griff gehabt, als sie zum Fenster hinaufschaute, das Licht entdeckte und beschloss, das Haus zu betreten? Er selbst hielt das für unwahrscheinlich. Wie viele » psychotische Irre«, wie Bowman sich ausgedrückt hatte, joggten Abend für Abend eine Strecke von über sechs Kilometern? Außerdem hatte Bowman noch gesagt: Abby verdient sich nebenbei ein paar Dollar, indem sie auf das ein oder andere Sommerhaus aufpasst. Sie hat zu jedem Haus einen Schlüssel. Und das der Markhams gehört dazu. Darum ist sie überhaupt ins Haus gegangen und hat nachgesehen. Ursache und Wirkung. Eine bewusste Entscheidung. Eine rationale, ja, sogar eine mutige Entscheidung. Das klang nicht nach dem Verhaltensmuster einer Schizophrenie-Patientin, die » ihre Medikamente abgesetzt« hatte. Er nahm sich vor, so bald wie möglich mit Abby Quinns Arzt zu sprechen. Bowmans Mutmaßungen zu hinterfragen. Genau wie seine eigenen.
Aber natürlich würde kein Geschworenengericht der Welt ihre Aussage ernst nehmen, auch nicht, wenn Abby beim Betreten des Hauses vollkommen bei Sinnen gewesen war. Kein Staatsanwalt würde sie in den Zeugenstand rufen. Er stellte sich vor, wie ein Verteidiger die hilflose Abby im Kreuzverhör unter Beschuss nahm. Sie haben immer wieder Visionen, Ms. Quinn, nicht wahr? Ja. Halluzinationen? Ja. Sie sehen Dinge, die gar nicht da sind? Ja . Ereignisse, die nie passiert sind? Ja . Und Sie hören auch Stimmen, nach allem, was in Ihren Patientenakten steht? Noch einmal: Ja. Der Killer, falls sie ihn jemals fassen sollten, hatte vor Gericht kaum etwas von Abby Quinn zu befürchten. Falls sie Abby jemals fanden, dann musste McCabe sie auf andere Art und Weise einsetzen. Vielleicht, indem er sich von ihr zu dem Mörder führen ließ, ohne dass ihre Aussage für eine Verurteilung notwendig war. Um das Unrecht, das durch Lainie Goffs Ermordung entstanden war, wieder geradezurücken, war er auf überzeugendere Argumente angewiesen als auf Abbys Zeugenaussage. Doch dann schob er diesen Gedanken wieder beiseite. Darüber brauchte er im Moment wirklich nicht nachzudenken.
Um das ganze Durcheinander mit ihren eigenen Fußspuren nicht noch zu vergrößern, betraten Maggie und McCabe die seitlich des Hauses verlaufende Einfahrt und näherten sich auf diesem Weg der Garage. McCabe streifte die Latexhandschuhe über und hob das Garagentor einen knappen Meter an. Sie gingen beide in die Knie. Maggie deutete erst auf das eine und dann auf das andere Paar Reifenspuren. Beide waren zu Eis erstarrt und eindeutig zu erkennen, und so würde es auch so lange bleiben, bis die Temperaturen wieder länger als ein, zwei Tage über den Gefrierpunkt kletterten. Jacobi würde also keine Probleme haben, sie zu fotografieren und auszuwerten.
McCabe ließ das Garagentor los und folgte Maggie die vier Treppenstufen zum hinteren Teil der Veranda hinauf. Mit der Taschenlampe leuchtete er den Bereich rund um die Hintertür ab. Keinerlei Anzeichen für ein gewaltsames Eindringen, genau wie Bowman gesagt hatte. Er
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