Angstschrei: Thriller
allerdings nicht mehr.«
» Tragen eigentlich die meisten der Jugendlichen hier solche Sachen wie das Mädchen auf der Veranda? Die, die Sie geholt hat?«
» Was haben Sie denn erwartet? Die Brady-Familie?«
» Wie alt ist sie? Fünfzehn?«
» Tara ist sechzehn.«
» Dann eben sechzehn. Gibt es einen bestimmten Grund, warum Sie zulassen, dass sie da draußen auf der Veranda herumhängt und raucht, aufgebrezelt wie eine Nutte am Times Square?« Vielleicht nicht die beste Einleitung für ein Gespräch mit Kelly, aber scheiß drauf. Das Mädchen war gerade mal zwei Jahre älter als Casey. McCabe musste sich irgendwie Luft machen.
» Hören Sie, McCabe, wenn unser Gespräch in diese Richtung gehen soll, dann können Sie gleich wieder einpacken und sich in die Middle Street verziehen. Meine Kinder sind keine Engel, das sollten Sie wissen, wo Sie doch auch einmal auf der Straße gearbeitet haben. Viele von ihnen sind nachtragende, schmutzige, reulose Sünder. Alle haben sie schwere Verletzungen davongetragen. Das kann ich nicht an einem Tag, in einer Woche oder in einem Monat ändern. In der Regel tragen sie die Sachen, die sie bei ihrer Ankunft hier am Leib hatten, und dazu das, was ihnen von den Kleiderspenden gefällt, die wir von den Kirchengemeinden der Stadt bekommen. Und das ist ehrlich gesagt nicht viel.«
McCabe war klar, dass er den falschen Ansatz gewählt hatte. Ihm war auch klar, dass das dämlich gewesen war. Wenn er noch irgendetwas von Kelly erfahren wollte, dann musste er sich zusammennehmen. Seine Wut zurückdrängen. Kelly war allerdings gerade in Fahrt gekommen, und McCabe nahm an, dass er besser daran täte, ihn ausreden lassen.
» Tara sieht also aus wie eine Nutte«, fuhr Kelly fort. » Tja, raten Sie mal? Sie haben recht. So hat sie das letzte Jahr überlebt, und ich wette, wenn Sie sie danach fragen würden, dann würde sie Ihnen sagen, dass es immer noch besser ist, gegen Bezahlung Fremde zu ficken als den eigenen Vater, und zwar umsonst. Denn genau dazu hat er sie den Großteil ihres Lebens gezwungen. Zumindest dann, wenn er sie nicht gerade verprügelt und ihr erzählt hat, was für ein wertloses Stück Scheiße sie ist. Jetzt prostituiert sie sich immerhin nicht mehr, und das ist gut so. Sie hat einen neuen Anfang gemacht. Bloß die Kleidung hat sie noch nicht gewechselt.«
» Es tut mir leid.«
» Ihnen tut es leid?«
» Ja, es tut mir leid. Ich habe meinen Gefühlen einfach freien Lauf gelassen, und das war völlig unangebracht. Dafür entschuldige ich mich.«
» Okay.« Ein tiefer Atemzug. Eine Pause. » Entschuldigung angenommen.« Noch ein tiefer Atemzug. Noch eine Pause. » McCabe, Sie müssen verstehen, dass unsere erste Aufgabe hier darin besteht, Tara und andere so wie sie von der Straße zu holen und sie davon zu überzeugen, dass ihr Leben etwas wert ist, dass sie es wert sind, dass sich jemand um sie kümmert. Modefragen und Nikotinentzug, so wichtig diese Dinge für Sie sein mögen, spielen da aus meiner Sicht eine untergeordnete Rolle.«
» Sie scheinen das alles mit großer Leidenschaft anzugehen.«
» Das ist Ihnen also aufgefallen.«
» Ist denn an dem Gerücht, dass Sie als Kind selbst missbraucht worden sind, etwas dran?«
» Erstens ist es kein Gerücht, und zweitens, ja, da ist etwas dran. Das will ich gar nicht verschweigen. Ich war vierzehn Jahre alt, als der Priester meiner Heimatgemeinde mich vergewaltigt hat. Beim ersten Mal habe ich es meinem Alten erzählt, und der hat nichts weiter unternommen, als mir die Seele aus dem Leib zu prügeln, weil ich die Heilige Mutter Kirche beleidigt habe. Also bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich mich wohl selbst verteidigen muss. Ich habe Ihnen doch erzählt, dass ich von jemandem schikaniert worden bin. Nun ja, beim zweiten Mal habe ich dem Priester eine heftige Tracht Prügel verpasst. Er war größer und älter als ich, aber hinterher hatte er zwei blaue Augen und eine blutige Nase.«
McCabe unterdrückte ein Lächeln. » Und Sie– welche Konsequenzen hatte das für Sie?«
» Keine. Er konnte ja schlecht sagen, wieso es dazu gekommen war. Also hat er überall, auch bei der Polizei, herumerzählt, dass er auf der Straße überfallen worden sei. Von ein paar kräftigen Schwarzen.«
» Natürlich. Passiert ja ständig.«
» Wie auch immer– wissen Sie, was mich seit damals ärgert? Dass es überhaupt nichts genützt hat, dass ich dem guten Hirten so zugesetzt habe. Er hat einfach weitergemacht, nur eben
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