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Angstspiel

Titel: Angstspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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durch die Wohnung, stoppe am Flurspiegel, gucke mich an. Ist Luise dieses Gesicht so vertraut wie mir ihres? Ich weiß, was es heißt, wenn sie die Lippen ganz leicht aufeinanderpresst, wenn sie nur eine Augenbraue diagonal hochzieht, wenn die Nasenflügel ein bisschen weiter offen stehen als normal oder sie die Schneidezähne in der Unterlippe vergraben hat.
    Was liest sie in meinem Gesicht? Was mag sie an mir?
    Je länger ich in den Spiegel gucke, umso klarer wird mir: Ich würde jetzt lieber sie sehen. Ich möchte nicht sie sein. Ich würde sie jetzt nur gerne sehen, bei mir haben.
    Sie fehlt mir.

15
    A ls gegen sieben Uhr Ines klingelt, bin ich so weit, dass ich mich selbst über eine Drückerkolonne für Fernsehzeitungen freuen würde. Ich brauche dringend jemanden neben mir, der mich von mir selber ablenkt. Vielleicht schaffen wir es, so einen Abend wie gestern zu zaubern. Wenn es sein müsste, würde ich mir auch einen Live-Mitschnitt der Volksmusikparade angucken, obwohl ich sicher bin, dass das nicht Ines’ Ding ist. Ich habe unten aufgedrückt, oben die Wohnungstür angelehnt und bin direkt in die Küche gegangen, um die Kaffeemaschine anzumachen. Ines ist der Typ, der jede Situation - neuer Tag, Büro, Pause, Besprechung, Telefonat, Feierabend - erst mal mit einer Tasse Kaffee beginnt. Als ich mich umdrehe, steht Philipp vor mir. Ehe ich was fragen kann, gibt er den Ton an.
    »Linda, du musst nach Hause kommen. Es geht Luise nicht gut. Ich soll dich abholen.«
    Er klingt sehr kühl.
    »Was ist mit Luise?«
    Angst, Angst, Angst.
    Wollte der Unbekannte mich nur aus dem Weg haben, um sein eigentliches Opfer zu schnappen? War das von Anfang an das Ziel? Hatte er es in Wirklichkeit auf Luise abgesehen und ich musste nur das Feld räumen? Wenn er Luise etwas angetan hat, möchte ich nicht mehr leben. Ich finde es fast beruhigend, diese Lösung für den möglichen Super-GAU zu haben.

    »Es geht ihr einfach nicht gut. Viel mehr weiß ich auch nicht. Du musst mitkommen. Pack deine Tasche.«
    Ich gehorche. Mit flattrigen Fingern werfe ich meine Sachen in die Reisetasche.
    Ich gehe in die Küche. »Ich muss Tante Ines Bescheid sagen.«
    »Deine Eltern haben sie schon angerufen. Sie weiß Bescheid. Komm jetzt.«
    Sein Tonfall erlaubt keinen Widerspruch.
    Philipp legt einen Briefumschlag auf den Tisch, doch ich nehme das nur wie in Trance wahr.
    »Warum schicken sie dich?«
    »Julchen hat bei euch zu Hause angerufen. Du hast wohl irgendein Buch von ihr, das sie bis Montag in der Bücherei abgegeben haben muss. Da habe ich mitgekriegt, wie verzweifelt deine Eltern sind. Als ich angeboten habe, dich zu holen, waren sie ziemlich glücklich.«
    Julchen hat mir ein Buch geliehen?
     
    Als wir auf der Autobahn sind, zücke ich mein Handy. Ich muss jetzt sofort Luise anrufen. Ich will wissen, was los ist. Philipp nimmt mir das Telefon aus der Hand.
    »Warte es doch ab. Wenn du jetzt anrufst, hilft ihr das auch nicht. Wir sind doch gleich da.«
    Er legt mein Handy in das Seitenfach der Fahrertür.
    Was kann passiert sein, dass Luise so fertig ist? Oder ist sie krank? Schwer krank? Hatte sie einen Unfall? Nur das nicht. Ich versuche sie mir nicht auf der Intensivstation mit tausend Geräten um sich herum vorzustellen.
    Erst kurz vor dem Haus der Schöneholzens stutze ich. Ich hatte nicht mitgekriegt, dass wir zu Philipp fahren.
    »Wolltest du mich nicht nach Hause bringen?«
    »Warte es ab. Komm mal eben mit.«
    Auf Julchen habe ich jetzt überhaupt keinen Bock. Ich
will zu Luise, steige trotzdem aus und gehe hinter Philipp ins Haus.
    Das ist leer. Komisch leer.
    »Wo ist Julchen?«
    »Julchen und meine Eltern sind übers Wochenende weggefahren. Ist doch Brückentag.«
    »Fährst du mich jetzt nach Hause? Ich kann mir auch ein Taxi rufen.«
    Ich gehe Richtung Haustür. Irgendwas stimmt hier nicht.
    »Komm doch mal eben mit.«
    Er geht, verschwindet die Treppe hinauf. Ich will nicht. Leise drehe ich mich um, drücke vorsichtig die Klinke der Haustür. Sie ist abgeschlossen. Der Schlüssel steckt nicht.
    Philipp beugt sich oben über das Treppengeländer, er guckt mich neugierig an.
    »Und jetzt, Linda?«
    Seine Stimme ist nicht kalt oder gemein. Sie ist eher neugierig.
    Ich brauche ein paar Sekunden, die sich wie drei Ewigkeiten anfühlen. Philipp?
    Er winkt mich zu sich.
    »Du musst keine Angst haben. Ich will nur mit dir reden.«
    Ich lache laut und hysterisch. Keine Angst haben. Unsichtbare Hände wringen meine Organe aus.

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