Angstspiel
wäre.«
»Stimmt, und das finde ich total gut.«
Erst später frage ich mich, ob sie nicht ein bisschen mehr hätte sagen können. Mich mehr mit Worten hätte einpacken können. Aber vielleicht bin ich ja auch nur zu ausgehungert nach netten Momenten.
3
I n der Nacht höre ich immer wieder das Klirren. Immer und immer wieder zerspringt das Glas. Wie in Zeitlupe sehe ich meine Hand im Dunkeln verschwinden. Als wäre dahinter ein riesiger Abgrund. Schwärze, die mich wie ein Sog verschlingen will. Ich wache kalt verschwitzt auf, fühle mich müde und matschig. Das Samstagsfrühstück gibt mir den Rest.
»Eigentlich können wir uns doch heute mal einen tollen Tag zusammen machen«, schlägt meine Mutter gut gelaunt vor.
»Wie wäre es mit einem Ausflug in das neue Spaßbad?«, legt mein Vater nach. Meine Mutter nickt begeistert.
Die beiden sind irgendwie süß mit ihrem einstudierten Dialog. Süß und nervig. Es ist so durchsichtig. Sie wollen sich kümmern. Sind verwirrt. Wer weiß, was dieser Bleicher denen erzählt hat. Wahrscheinlich sind sie froh, dass ich morgens Müsli esse. So müssen sie mir kein Brötchenmesser in die Hand geben. Sie tun mir leid. Sie haben Angst. Ich weiß, was Angst ist.
»Ich glaube, ich darf hiermit nicht schwimmen gehen«, sage ich und deute auf meinen Verband.
Meine Mutter guckt ganz hilflos meinen Vater an. Da hatten sie sich so was Schönes überlegt, und daran haben sie nicht gedacht. Ich sehe, wie sie fieberhaft nachdenken. Ein neuer, toller Plan muss her.
»Kartbahn?« Mein Vater klingt richtig bittend.
»Shoppen?« Luise mischt sich ein. Sie wittert offenbar die Chance auf neue Klamotten.
Irgendwie niedlich, wie wir vier hier sitzen und verzweifelt nach dem kleinsten gemeinsamen Familiennenner suchen.
»Erst Filmmuseum, dann Italiener, dann Kino«, bestimme ich.
Meine Eltern atmen erleichtert aus und Luise nickt meinen Vorschlag ab.
Natürlich würden meine Eltern am liebsten die ganze Zeit fragen. Aber sie trauen sich wohl nicht. Mein zerschnittener Arm wird als Unfall behandelt und in ihnen brodelt die Furcht, dass etwas anderes dahinterstecken könnte. Ihnen habe ich natürlich nicht die Lüge aufgetischt, die ich dem Psychologen erzählt hatte. Ihnen habe ich nur gesagt, dass da irgendwas auf der Scheibe gewesen war, was ich wegwischen wollte. Dabei sei ich wohl zu hektisch gewesen. Wäre ins Stolpern gekommen. Nur zu gerne möchten sie einen ganz harmlosen Tag mit ihren Töchtern verbringen. Was ist eine zerbrochene Fensterscheibe? Das kann doch mal passieren. Wo ist das Problem?
Ich genieße jeden Moment. Das Filmmuseum ist echt mal ein Museum, das Spaß macht. Am witzigsten sind die Vorführungen unter dem Motto »Szenen, die dann doch nicht gezeigt wurden«. Das sind Szenen, in denen einer der Schauspieler den Text vergessen habe oder sonst irgendwas nicht hingehauen hat. Meine Lieblingsszenen sind die Lachanfälle von Bully Herbig. Die sind fast noch witziger als seine Filme. Unsere Eltern können hier in ihrer Jugend schwelgen und finden es auch klasse. Am liebsten machen sie »Film-Karaoke«. Da kann man bei berühmten Dialogen mitsprechen. Mein Vater ist göttlich, wenn
er meine Ma anschmachtet mit »Liebe heißt, niemals um Verzeihung bitten zu müssen«. Das ist aus einer absoluten Mega-Schnulze. Auch bei »Harry und Sally« sind meine Eltern ganz groß. Beim Italiener danach gibt es das ganze Programm. Ich schaffe es nur mit offener Hose ins Kino. Luise hat Glück. Die hat einen Rock mit Gummizug an.
Die zwei Stunden in dem dunklen Kinosaal sind definitiv das Geilste, was ich seit Langem erlebt habe. Ich sitze eingeklemmt zwischen Luise und meiner Mutter in der letzten Reihe. Ich fühle mich so sicher, so wohl. Mir kann nichts passieren. Wie lange hatte ich das Gefühl nicht mehr.
Die Ernüchterung kommt schnell.
Opa wartet auf uns, als wir nach Hause kommen.
»Du hattest Besuch, Linda. Ich wusste ja nicht genau, wann ihr wiederkommt. Der junge Mann hat ein bisschen auf dich gewartet. Aber dann ist er wieder gegangen. Er will sich bei dir melden.«
In meinem Kopf schrillt ein Ton. Sehr hoch. Sehr fies. Eine Alarmanlage am Anschlag. Ich versuche das Zittern in meiner Stimme zu überhören.
»Wer war das denn?«
Mein Opa guckt mich erstaunt an.
»Ich glaube, das hat er gar nicht gesagt. Ich dachte, du wüsstest, wer dich besuchen will.«
Acht Augen gucken mich an, zingeln mich ein. Luises Blick will wissen, ob es da wohl einen Typen gibt,
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