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Angstspiel

Titel: Angstspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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stand sie ja auf so sadistische Spielchen. Von Julchen kam aber keine Antwort. Dafür kam an einem Donnerstag gegen halb neun abends eine E-Mail.

    Julchen hat gerade Yoga, oder? Du siehst, dass sie erstens nicht der Absender ist und dass ich zweitens noch mehr weiß, als du nur ahnst.
    Ich konnte nicht anders. Ich musste Julchen davon erzählen, ich wollte sie da nicht mit reinziehen. Wollte nicht, dass sie auch mit in die Schusslinie geriet. Mir tat es so leid, dass ich ihren Namen mit ins Spiel gebracht hatte. Doch Julchen war noch nicht mal eine halbe Sekunde lang beeindruckt. Sie kaute weiter seelenruhig auf ihrem Müsliriegel rum.
    »Ich kann dir aus dem Stand mindestens hundert Leute nennen, die wissen, wann ich Yoga habe. Vielleicht habe ich das sogar mal im Chat erwähnt oder in meinem Profil verewigt.«
    Ich weiß noch genau, wie sie mich dann mit offenem Mund und jeder Menge Müslimatsch darin angesehen hat. Plötzlich war ihre Stimme ernst.
    »Dir macht das wirklich Angst, oder?«
    Ich hatte nur nicken können. Und dann eine ganze Packung Tempos gebraucht. Julchen hatte natürlich ein schlechtes Gewissen, schließlich hatte sie mich gleich in der ersten Schulwoche überredet, mich in dem Chat anzumelden. Alle aus der Stufe seien darin. Überhaupt fast alle von der Schule. Vielleicht hatte sie mich auch ein bisschen loswerden wollen. Sie war die Einzige aus der neuen Stufe gewesen, die nett zu mir war. Wahrscheinlich hatte ich mich daraufhin zu sehr an sie dran gehängt. So wie ich mich vorher immer an Luise gehängt hatte.
    Es war aber auch kein Wunder. Ich war von der ersten Stunde an völlig fasziniert von Julchen. Sie erfand sich jeden Tag neu, war jeden Tag eine ganz andere. Mal tauchte sie in abgerissenen Klamotten und einer Sicherheitsnadel im Ohr in der Schule auf, dann wieder mit Perlenohrringen,
Haarreifen und braver Bluse, und trotzdem wirkt sie dabei überhaupt nicht affektiert. Noch nicht mal zickig. Muss ich noch erwähnen, dass Julchen die perfekte Figur hat? Die längsten Beine, die ich je gesehen habe, und den knackigsten Po zur Krönung. Ich bin sicher, die Hälfte aller Jungs der Schule ist in sie verknallt. Wahrscheinlich sogar ein paar Lehrer. Sie ist immer - einfach immer - gut gelaunt. Sie ist sogar zu nervigen Sechstklässlern auf dem Schulhof nett. Ich glaube nicht, dass es irgendetwas auf der ganzen Welt gibt, was Julchen Sorgen bereitet. Natürlich habe ich Julchen auch noch nie mit einem Pickel gesehen. Sie scheint einfach davon überzeugt, dass das Leben nur schön ist. Und diese Grundeinstellung lässt sie sich durch rein gar nichts vermiesen. Wir sind mal im Bus von zwei Prolls angepöbelt worden. Auf die ganz fiese Tour. Julchen hat den einen Typen nur bekümmert angesehen und gefragt: »Kann es sein, dass du heute Probleme mit der Verdauung hast und deswegen so einen Scheiß redest?«
    Danach hatte sie sich zu mir umgedreht und seelenruhig ein Gespräch über die Matheklausur angefangen. Die Typen haben dann echt ihren Mund gehalten.
     
    Wie oft habe ich in den vergangenen Wochen die Zettel rausgesucht? Ich kann es nicht mal schätzen. Ich hatte nicht nur das erste vorsichtige Antasten ausgedruckt. Nicht nur die ersten kurzen Sätze, mit denen wir uns umkreisten. Ich habe jeden Dialog zwischen dem Kaktus und mir abgespeichert und ausgedruckt. Komisch eigentlich. Andere Unterhaltungen habe ich im Nichts verschwinden lassen. Habe sie vorüberziehen lassen. Jedes Wort zwischen Kaktus und mir habe ich erhalten. Ich weiß nicht, was das für eine Ahnung war. Das hier habe ich bestimmt nicht vorhergesehen. Dann hätte ich mich rechtzeitig aus
dem Staub gemacht. Wäre nicht auf seine verträumte, verletzliche Nummer reingefallen. Oder ich wäre richtig ätzend zu ihm gewesen. Ein bisschen ordinär. Das finden Jungs doch immer total abtörnend. Oder ich hätte andauernd irgendwelche Smileys reingehackt. Das finden die meisten Typen doch auch albern.
    Ich war aber einfach nur ich. So sehr ich wie ganz selten. Manchmal hat es sich angefühlt, als wäre ich heimlich verabredet. Wenn ich einen tollen neuen Song entdeckt hatte, musste Kaktus sich den runterladen und wir haben den dann »zusammen« gehört und hinterher drüber gequatscht. Wir sind an einem Abend in den gleichen Kinofilm gegangen und haben hinterher alles ausdiskutiert. Was ich besonders kribbelig fand: Kaktus und ich wussten nicht, ob wir im gleichen Kino sitzen. Wir hatten abgemacht, dass wir uns nicht sagen, wo wir

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