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Angstspiel

Titel: Angstspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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von Lilly auserkoren hat. Oder als Ersatz. Lilly war Julchens absolut beste Freundin. Sie ist vor den Ferien für ein Schuljahr nach Denver gegangen mit dem Schüleraustausch. Regelmäßig telefoniert Julchen via Skype mit Lilly. Ich habe schon zwei Mal zugesehen. Beim zweiten Mal musste ich völlig verkrampft einen Hustenanfall unterdrücken. Ich wollte nicht, dass Lilly weiß, dass da jemand mithört und -sieht. Habe mich gefühlt wie eine Geliebte. Natürlich hat Julchen mehrere Freundinnen. Eigentlich alle anderen aus der Stufe. Julchen versteht sich mit allen gut. Und alle finden sie gut. Aber Lilly hatte einen Platz frei gemacht. Auf den hat Julchen mich gesetzt. Vielleicht habe ich mich auch selber gesetzt. Ohne Luise war ich einfach ein bisschen hilflos. Orientierungslos. Wortlos. Julchen war nett zu mir. Da habe ich mich irgendwie festgebissen. Nein, das stimmt nicht. Ich bin kein Kampfhund. Ich beiße nie. Und wenn ich schnappe, dann nur nach Luft. Ich habe mich einfach gefreut über Julchens Nettigkeit. So wie Ali sich immer freut, wenn Julchen mit ihm vor die Tür will. Ich erinnere mich ganz kurz, wie Ali immer wieder der große, ausgedehnte Spaziergang versprochen wird. So hat Julchen auch versprochen, dass sie Kaktus finden werde. Bis jetzt hat sie noch nicht mal gesucht. Ich lasse das Gummiband gegen mein Handgelenk sausen. Solche Gedanken bringen mich nicht weiter. Spielt Julchen ein Spiel? Wie immer?
     
    In der Kletterhalle bleibt mir alleine beim Anblick die Luft weg. Die Höhe, die Seile, alles dreht mir den Hals zu. Ein paar Mal musste ich auf Kindergeburtstagen so was schon über mich ergehen lassen. Als ich einmal abgerutscht
und ins Seil gefallen bin, hat der Typ unten überrascht gestöhnt. Peinlich.
    Philipp begrüßt seine Kumpels so, wie das jetzt alle machen. Sie geben sich die Hand und stupsen ihre Schultern aneinander. Ich frage mich, wer mit diesem Ritual angefangen hat. Aber ich kenne auch immer mehr Mädchen, die sich mit Küsschen rechts, Küsschen links begrüßen. Als ich das das erste Mal mitgemacht habe, hat sich das Mädchen danach die Wange mit dem Ärmel abgewischt und mich angewidert angeguckt. »Man tut doch nur so«, hat sie gezischt. »Du hast mich voll angesabbert«, hat sie auch noch angefügt. Woher soll ich mich mit diesen bescheuerten Kussritualen auskennen? Bis dahin hatte ich nur Familienmitglieder geküsst, und zwar Mama, Papa, Oma und Opa. Luise sowieso. Und wir küssen richtig. Seitdem verkrampfe ich bei jeder Begrüßung. Als Julchen und ich aus der Umkleide kommen, hängt Philipp schon unter der Decke. Er hat natürlich den schwarzen Weg gewählt, den schwierigsten.
    »Kommt Mädels, zum Aufwärmen steigt ihr mal hier hoch«, begrüßt uns Thilo. Er sichert Philipp gerade.
    »Zum Aufwärmen?«, frage ich vorsichtig.
    Zwei Stunden später bin ich schon völlig fertig und wir fangen gerade erst an. Ich musste echt drei Mal die Wand hoch - also so hoch, wie es ging. Und es ging nicht sehr weit. Immer wieder brüllte Thilo von unten: »Hintern rein.« Ich hätte ihm gerne geantwortet, dass ich meinen Po nicht einfach einziehen kann. So wie man einen Bauch einziehen kann. Mein Po behält seine Form, ganz egal, was ich auch tue. Das alles habe ich nicht gesagt, weil ich damit beschäftigt war, mich an winzige Erhebungen zu krallen und gleichzeitig zu atmen. Jetzt stehen wir vor einem Stahlgerüst. Die Halle ist an dieser Stelle noch ein bisschen höher.

    »Also: Wir klettern in dem Turm hoch, stellen uns oben auf die Plattform - und dann einfach fallen lassen und genießen«, ordnet Philipp an.
    »Wie hoch ist denn das?«, frage ich vorsichtig. Als ob irgendeine Zahl den Schwindel in mir anhalten könnte.
    »Zehn Meter. Du brauchst also keine Sauerstoffmaske«, lacht er.
    Hat der eine Ahnung. Ich habe schon hier am Boden das Gefühl, als würde meine Lunge zitternd schrumpfen.
    »Ich gehe vor. Dann kommt Linda«, befiehlt Philipp weiter.
    Ich würde jetzt gerne einfach »Nö« sagen. Mir eine Cola holen, mich auf den Boden setzen und freundlich, aber bestimmt verkünden: »Ich gucke nur zu.«
    Ich traue mich nicht. Also muss ich das machen, was ich mich eigentlich noch weniger traue. Vielleicht ist mein Körper aber auch schon so an die Angst gewöhnt, dass ich gar nicht mehr weiß, wie ich ihr ausweichen kann. Als wäre das alles ohnehin nicht schon schlimm genug, will ausgerechnet Philipp mich bei meinem Aufstieg sichern. Nachdem er mit lautem Gebrüll wieder

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