Angstspiel
noch irgendwelche Volksmusiker zu Gast. Ich höre den immer gleichen Rhythmus. Es ist fast peinlich, aber das ewige Bum-Bum-Bumbumbum bringt mich wie ein Schlaflied in die Träume.
Es ist Samstagabend. Ich müsste jetzt auf irgendeiner Party sein, Spaß haben, flirten und das alles. Luise ist bestimmt gerade unterwegs. Hängt irgendwo mit und halb auf Paul ab. Kichert, quatscht, knutscht zwischendurch. Irgendwann wird vielleicht sogar jemand fragen: Wo ist denn eigentlich deine Schwester? Dann wird sie mit den Schultern zucken. Luise weiß schon lange nicht mehr, was Linda macht. Und umgekehrt.
Kann ich wohl Julchen morgen schon wieder anrufen und fragen, ob wir irgendwas zusammen machen? Ich will nicht klammern. Heiße ja nicht Merlin. Aber ich könnte ja noch mal eine Runde mit Ali vorschlagen.
Am Himmel zieht ein Stern vorbei,
und ein Flugzeug fliegt nach Wien.
Ganz plötzlich sind die Zeilen aus dem Song in meinem Kopf. Der Gedanke fühlt sich warm an. Verlockend. Verführerisch. So erwachsen und verwegen gleichzeitig. Einfach gehen. Einfach abhauen. Vielleicht wär’s das? Ich muckele mich tiefer in den Bademantel und die Bettdecke. Ich bin nicht verwegen. Kriege ja schon die Krise, wenn ich aus Versehen in den falschen Bus steige und irgendwo lande, wo ich nicht hinwill. Aber kurz vorm Einschlafen bin ich mutig genug für eine solche Vorstellung.
5
I ch wache auf und erschrecke mich zu Tode. Mein Puls schnellt hoch und ich fühle ihn im Hals. Julchen lehnt in der Tür. Im ersten Moment habe ich nur einen Schatten gesehen. Eine Silhouette.
»He, aufstehen, du Schlafmütze.« Sie kommt an mein Bett, zerrt an meiner Decke. »Los. Raus. Wir haben was vor.«
Ich versuche meine Gedanken zu sortieren, versuche mich zu finden. Ich gucke auf die Uhr. Es ist schon zehn. Ich erinnere mich daran, dass ich um sieben schon mal wach gewesen bin. Ich muss wieder eingeschlafen sein.
Luise klopft an, wartet erstaunlicherweise ein, zwei Sekunden, ehe sie reinkommt. Sie bleibt steif an der Schwelle stehen.
»Willst du mit frühstücken?«
»Nee, danke«, lacht Julchen.
»Ich meinte eigentlich meine Schwester.« Luise klingt wie eine saure Gurke.
»Ich komme gleich«, verspreche ich.
»Nein, wir wollen los. Frühstücken kannst du unterwegs«, korrigiert mich Julchen.
»Wohin wollen wir denn überhaupt?«
Ich fühle mich nicht wohl zwischen den beiden. Beide stehen da, warten. Das macht mich nervös.
»Wir fahren in den Kletterpark. Philipp trifft sich da mit ein paar Kumpels, und ich habe beschlossen, dass das
auch für uns genau das Richtige an einem langweiligen Sonntag ist. Komm jetzt, Philipp wartet draußen.«
»Ich muss erst noch duschen.«
»Du darfst also nicht frühstücken«, stellt Luise kalt fest und zieht die Tür hinter sich zu. Mit ihrem Blick hätte sie ein Loch in einen Eiswürfel brennen können. Julchen reagiert da gar nicht drauf. Ich hatte schon nach einer Entschuldigung in meinem Kopf gekramt. Dass Luise ihre Tage kriegt oder so und deswegen so zickig ist.
»Du musst nicht duschen. Du schwitzt da doch eh. Wir duschen danach dort. Mach ich auch. Pack einfach Sportklamotten, Handtuch und so ein. Das reicht.«
Ich gehorche. Schnappe mir Jogginghose, Shirt, Sportschuhe und wahllos ein paar Sachen aus dem Bad.
»Warum gehen wir klettern?«, frage ich auf dem Weg zum Auto. Ich stelle fest, dass ich meine Jacke vergessen habe, will aber jetzt nicht noch mal zurück. Meine Eltern sahen ohnehin schon so beleidigt aus, wahrscheinlich wegen des verhinderten Familienfrühstücks. Die Blicke muss ich nicht noch mal haben.
»Weil das totalen Spaß macht. Und weil das zu deinem aktuellen Ablenkprogramm gehört. Du hast dich doch total in deiner Panik verkrochen. Dieser Typ beherrscht dich doch schon völlig. Wenn man Spaß hat, hat man keine Zeit, auch noch Angst zu haben. Wenn du erst mal in der Wand klebst, werden dir irgendwelche E-Mails von einem Pickelgesicht absolut am Arsch vorbeigehen. Verlass dich drauf.«
Okay, ich sollte nicht enttäuscht sein. Es ist ja eigentlich schon super-süß von Julchen, dass sie sich so reinhängt. Aber auf der anderen Seite hatte sie ja eigentlich versprochen, dass sie Kaktus finden würde. Und ich glaube, dass mir ein dingfest gemachter Kaktus mehr helfen würde, als die Wände hochzugehen. Ich traue mich nicht,
das so zu sagen. Ich will nicht undankbar sein. Ich kann es ja oft immer noch nicht fassen, dass Julchen ausgerechnet mich zur Nachfolgerin
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