Angstspiel
betreuen müssen. Die hat vor Kurzem mit ihrer Brille die Suppe umgerührt und ihre Schuhe in den Backofen gestellt.
»Wenn die sich demnächst zum Schlafen in die Tiefkühltruhe legt, haben wir einen Kunden weniger«, sagt Kai und lacht.
»Zur Feuerbestattung müsste die auf jeden Fall wieder aufgetaut werden«, kontert Philipp. »Sonst gehen die Flammen aus.«
Ich muss mich anstrengen, ein bisschen mitzulachen. Meine Oma war zum Schluss auch schon ziemlich durcheinander. Mein Opa hat immer versucht, das zu vertuschen. Ich glaube, er hatte ein bisschen Angst, dass Oma in ein Heim gebracht wird. Als einmal das ganze Bad unter Wasser stand, weil die Wanne übergelaufen war, hat er behauptet, das sei seine Schuld gewesen. Er habe vergessen, dass er sich Badewasser angestellt hätte. Wir wussten alle, dass das Quatsch war. Haben aber so getan, als würden wir ihm glauben.
Ich lasse mich einlullen von den Gesprächen. Die Worte plätschern und ich sitze wie unter einer warmen Dusche und lasse alles auf mich wohlig herabregnen. Kurze zehn oder zwanzige Minuten genieße ich das Gefühl, die Schwere in mir, die Leichtigkeit des Moments. Dann denke ich an zu Hause. An meine Eltern, an Luise und meinen Opa. Sie werden jetzt alle im Wohnzimmer hocken. Luise hatte schon Anfang der Woche ein fettes Ausrufezeichen in die Fernsehzeitung gemacht. Vor ein paar
Minuten hat der »Tatort« angefangen. Das ist bei uns eigentlich schon Kult. Heute sind unsere Lieblingskommissare dran. Ma und Pa gucken natürlich auch immer mit, manchmal kommt Opa auch dazu. Aber nur, wenn auf einem anderen Sender keine Volksmusik verbrochen wird. Einmal hat er uns von den tollen Fernsehshows von früher erzählt. Süß. Am besten fand er »Spiel ohne Grenzen«. War wohl so eine Mischung aus Bundesjugendspielen und Kindergeburtstag. Das »laufende Band« fand er auch gut. Luise und ich haben dann aus Spaß mal die unsinnigsten Gegenstände auf eine Wolldecke gepackt und durchs Wohnzimmer gezogen. Er musste sich das merken und hinterher alles aufzählen. So wie in der Sendung damals. Fand er gut, glaube ich.
Ich hatte mich total gefreut, als ich sah, dass Luise das fette rote Ausrufezeichen in die Zeitung gemacht hatte. Ich hätte es nicht gemacht. Hätte Schiss gehabt, dass Luise sagt: »Ach, da kann ich nicht mitgucken. Bin schon mit Paul verabredet.« Und dann hätte ich alleine mit Mama, Papa und Opa vor der Glotze gehangen und fade No-Name-Flips in mich reingestopft. Das hätte sich richtig mies angefühlt. Jetzt bin ich hier und Luise sitzt da vor den geschmacklosen Flips. Ich wollte sie noch fragen, warum sie an einem Sonntagabend nicht mit ihrem Freund unterwegs ist. Bin dann aber nicht dazu gekommen.
Vor einigen Wochen noch hätte es keine Frage gegeben, die ich Luise nicht gestellt hätte. Obwohl, viel fragen musste ich sie nie. Sie hat mir auch ungefragt alles erzählt.
»Ihr seid wie Tag und Nacht, ihr gehört einfach zusammen«, hat meine Ma mal gesagt. Das stimmt. Wir sind so unterschiedlich und doch waren wir immer eins. Ein bisschen wie diese albernen Pärchen-Anhänger. So ein durchgebrochenes Herz, wo jeder eine Hälfte trägt.
Am ersten Tag nach den Ferien hat sich eine durchsichtige Folie zwischen Luise und mich geschoben. Sie macht jetzt ihre Ausbildung, ist da immer total busy, findet die Leute in der Firma alle total crazy, und außerdem hat sie Paul. Ich hatte weiter Merlin. Ein paar Mal haben wir echt zu viert was gemacht. Als wären wir zwei Paare. Total peinlich. Die anderen drei fanden es gut.
»Bist du im Wachkoma?« Julchen stupst mich in die Seite. »Wir gehen.«
Ich schrecke hoch, raffe meine Sachen zusammen. Ein bisschen freue ich mich. Vielleicht kann ich zu Hause noch eintauchen in den Fernsehabend, vielleicht hat Luise den Platz neben sich auf der Couch unter ihrer Kuscheldecke für mich noch frei gehalten.
»Meinst du, Philipp kann mich nach Hause fahren?«, frage ich sie leise.
»Nachher bestimmt. Aber jetzt gehen wir erst noch ins ›Fusion‹. Da ist heute Abend ein Rap-Konzert. Ein Kumpel von Philipp macht da mit. Er hat extra Karten an der Kasse hinterlegt.«
Sie sieht, dass die Begeisterung mich nicht gerade wegspült.
»Willst du lieber nach Hause? Dich in dein Zimmer setzen und abwechselnd panisch vom Handy auf den Computer starren und warten, bis die nächste blöde Mail kommt? Bis dieses feige Arschloch dir wieder irgendeinen Scheiß schreibt und du die nächste Panikattacke bekommst?«
Ich
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