Angstspiel
essen.
»Philipp schmeißt den Kamin an, das gehört doch zu einem perfekten Skitag dazu«, freut sich Julchen.
Selbst wenn ich wollte, ich wüsste gar nicht, wie ich aus der Nummer herauskäme. Denn Olga legt gleich einen
Arm um mich und sagt in ihrem gebrochenen Deutsch: »Wir sind dabei!«
Bei Schöneholzens angekommen, machen die Jungs den Kamin klar und Julchen schiebt jede Menge Junkfood in den Ofen.
»Schließlich haben wir heute Sport gemacht«, sagt sie lachend.
Mir läuft schon das Wasser unter der Zunge zusammen. Nur weil meine Mutter nicht kochen kann, heißt das nicht, dass sie zu Fast Food greift, selbst im Notfall nicht. Und dabei gibt es häufig Notfälle. Nehmen wir als Beispiel das Nudelkochen, was ja eigentlich nur fünf Minuten dauert. Meine Mutter hat aber keine Lust darauf, fünf Minuten, das sind ja dreihundert Sekunden, einfach zu warten. Sie ruft mal eben - mal eben - eine Freundin an. Das Ergebnis liegt auf der Hand. Aber - sie hat gleich eine Idee. Wenn man aus zu weichen Kartoffeln Kartoffelpüree machen kann, dann kann man doch auch … bingo! Meine Mutter püriert die weichen Nudeln und die Familie streikt. Jetzt kommt der Notfallplan: Zeit für einen »bunten Teller«. Meine Mutter zückt ein Messer und schnippelt aus dem Kühlschrank alles klein, was ihr vor die Klinge kommt. Kohlrabi, Möhren, Tomaten, Salami, Eier (vorher gekocht), Oliven, Käse, Käse, Käse, dazu gibt es dann Cracker, Brot, altpappige Brötchen als geröstete Croûtons und so. Ich finde das eigentlich ganz okay. Luise meckert dann mehr aus Spaß und um Ma zu veralbern.
Nachdem wir alles aufgefuttert haben, was Julchen in den Backofen geschoben hatte, bleiben wir einfach im Wohnzimmer sitzen. Philipp hat im Kamin einen Haufen Holz aufgeschichtet und angesteckt. Ich bin ganz schwer und schläfrig. So ruhig wie ewig nicht mehr. Ali liegt neben mir auf dem Teppich, ich kraule ihn ganz leicht
hinter den Ohren. Wenn ich den Moment hier einfrieren könnte, ich würde einen Hunderterpack Gefriertüten kaufen. Jede Sekunde reinstopfen, jeden Atemzug, jeden Blick, jedes Lachen. Und ins Eisfach schieben. Mein Handy meldet sich. In mir stöhnt eine Stimme. Nicht jetzt, denke ich. Bitte nicht. Lass es mich noch einen Moment genießen. Ich schaue Julchen an. Sie fängt meinen Blick auf, hält ihn fest. Sie versteht sofort.
»Gib mir mal dein Handy«, sagt sie ganz ruhig.
Ich hole es raus, reiche es ihr rüber.
Sie tippt kurz entschlossen darauf herum, gibt es zurück.
Es ist kein Briefumschlag mehr zu sehen. Die SMS, die ich gerade bekommen habe, ist weg.
»War er es?«, frage ich nur kurz.
»Keine Ahnung. Habe einfach alle gelöscht.«
Erleichterung fühlt sich anders an. Jetzt ist die Bedrohung wortlos. Nur noch eine Ahnung. Vielleicht hat Julchen aber auch ein Aufatmen erstickt. Wenn er es nicht war. Ich weiß nicht, was ich denken soll. Meine Gefühle sind auf halber Strecke gestoppt worden.
»Entspann dich. Was du nicht weißt, kann dich nicht schocken«, sagt Julchen und lächelt.
Philipp guckt mich interessiert an. »Hast du etwa einen Verehrer?«
Etwa. Ob ich »etwa« einen Verehrer habe. Das klingt so, als sei es völlig abwegig. Als hätte er gefragt, ob ich etwa über Wasser laufen könne. Natürlich. Es ist absolut undenkbar, dass irgendjemand mich spannend genug findet, um sich die Mühe einer SMS zu machen. Ich schüttele nur den Kopf.
»Natürlich nicht.«
Er wendet den Blick nicht ab. Das macht mich nervös. Diese Augen, die von außen auf mir ruhen, die Gedanken,
die von innen an mir zerren. Ich bin so angespannt, dass mir die Muskeln wehtun.
»Entspann dich«, mahnt Julchen wieder. »Vergiss den Typen. Vergiss einfach die letzten fünf Minuten. Du musst mal lernen zu verdrängen.«
Ich kann total viel verdrängen. Jede Menge Wasser zum Beispiel. Mehr, als mir lieb ist. Das sage ich jetzt nicht. Es ist ein paar Jahre her, da sollte ich mit Luise baden. Sie lag schon in der Wanne. Ich habe mich vor sie gesetzt und plötzlich stand das Badezimmer unter Wasser. Literweise ist das Badewasser rausgeschwappt. Luise hat total gelacht. Mit mir zusammen baden wäre ja total sparsam. Man käme quasi mit zwei Litern aus. Ja, es ist schon einige Jahre her. Ich habe das aber nicht vergessen.
Ich drehe mein Handy in der Hand, sehe eher zufällig die Uhrzeit und weiß, dass ich ein kleines Problem habe. Es ist nach acht. Ich hatte heute Morgen auf den Zettel geschmiert, dass ich zum Abendbrot zu Hause
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