Angstspiel
vergiftet hat. Die Frage ist nur: Zufall oder nicht? Vielleicht hat er ja eine von diesen Tollwutimpfungen gefressen, die da manchmal ausliegen. Wer weiß, ob die nicht für Hunde gefährlich sind. Vielleicht war da aber auch Rattengift oder so was gestreut. Ich möchte das so gerne glauben. Ich will einfach nicht, dass dieser nette Hund, der mir immer so treu zugehört hat, wegen mir krank ist. An was Schlimmeres will ich nicht denken.
Julchen kommt spät, ich gehe sofort zu ihr.
»Wieso ist er in einer Klinik? Habt ihr ihn gestern da noch hingebracht?«
»Ja, klar. Oder meinst du, es gibt einen Rettungswagen für Hunde? Mit lautem Gebell statt Sirene, oder was?«
Ich bin baff. So habe ich Julchen noch nicht erlebt. Sie
hat ganz kurz ein ganz anderes Gesicht gezeigt. Mit harten Zügen, einem zynischen Unterton in der Stimme. Sie fängt sich aber wieder, fährt mit der Hand kurz über ihr Gesicht. Als würde sie eine verrutschte Maske wieder an Ort und Stelle rücken.
»Sorry, Linda, du kannst ja nichts dafür. Ich fühle mich nur so fertig. Philipp ist nicht aufgetaucht, aber zum Glück war Frau Rohmann da, die mich mit Ali zum Doc gefahren hat. Der hat ihn gleich in so eine Art Tierkrankenhaus gebracht. Es geht ihm nicht gut.«
Mir geht es auch nicht gut. Ich versuche meine Stimme ruhig zu halten.
»Was hat er denn genau?«
»Irgendeine Art Vergiftung. Er muss was unheimlich Fieses gegessen haben. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wann oder wo.«
Ich kann es mir aber vorstellen. Sehr gut sogar.
»Und jetzt?«
»Der kriegt Infusionen und so was. Wie in einem richtigen Krankenhaus. Ich war noch total lange bei ihm. Er tut mir so leid. Ich habe seine Pfote gestreichelt und ihm versprochen, dass wir ganz oft spazieren gehen, wenn er wieder gesund ist. Er hat mich die ganze Zeit nur so traurig angeguckt. Der konnte noch nicht mal mehr den Kopf heben, so fertig ist der.«
Eine Lautsprecherdurchsage unterbricht unser Gespräch. Wir gehen in unsere Projektgruppen. Ich habe das Gefühl, als wäre eine neue Dimension eingeläutet. Das ist nicht nur ein blödes Herz an der Fensterscheibe, das mich erschrecken soll. Es sind nicht nur ein paar gemeine SMS. Auch nicht nur ein Foto von mir mit den dicken Möpsen und meiner Telefonnummer im Netz. Jetzt wird es bedrohlicher. Jetzt wird es richtig gefährlich. Ich im Fahrradkeller eingesperrt. Ali vergiftet im
Krankenhaus. Das ist alles eine Nummer größer. Was kommt als Nächstes? Werde ich das nächste Mal eine ganze Nacht eingesperrt? Wird jemand Luise wehtun? Meine Gedanken sitzen in einem Kettenkarussell, drehen sich schneller und schneller. Böse Ahnungen lassen einen Sturm aufkommen. Die Metallketten schlagen gegeneinander. Die Sitze taumeln, wirbeln umeinander. Und irgendwo im Schatten steht er.
Erst beim Verabschieden am Nachmittag traue ich mich. »Meinst du, du triffst den Ghostwriter heute Abend im Chat?«
Ich weiß gar nicht, woher ich den Mut nehme, Julchen damit jetzt zu nerven. Aber ich kann nicht anders.
»Mit Sicherheit.«
Sie scheint gar nicht böse zu sein, dass ich jetzt mit dem Thema um die Ecke komme. Dass er mich gestern im Fahrradkeller eingesperrt hat, sage ich nicht. Es ist auch so alles schon schlimm genug. Ich will nicht davon erzählen, wie ich auf dem dreckigen Boden rumgekrochen bin, wie ich gewinselt habe. Ich will jetzt nicht schon wieder den schlechten Geschmack im Mund haben, den die Erinnerung an den Horror bei mir auslöst.
»Vielleicht war es gar nicht so schlecht, dass ich gestern Abend nicht online war. Ist immer gut, wenn man sich mal ein bisschen rarmacht«, sagt sie und grinst.
»Willst du vorbeikommen?« Sie knufft mich in die Seite.
Ich kenne echt niemanden, der so sehr alles Graue, Trübe, Schwere mit einem Grinsen ins Nichts befördern kann.
»Gute Idee«, behaupte ich und bin mir dabei gar nicht so sicher.
Ein paar Stunden später bin ich sehr glücklich, eine Verabredung zu haben. Meine Eltern hatten sich offenbar
vorgenommen, mal »ein ernstes Gespräch« mit mir zu führen. Sie stehen plötzlich in der Küche, als ich mir gerade einen Joghurt aus dem Kühlschrank nehme.
»Wir essen doch gleich zu Abend«, nörgelt meine Mutter.
»Ja, aber ich muss noch zu Julchen.«
»Du bist sehr oft bei Julchen, was?«, fragt mein Vater und es klingt irgendwie vorwurfsvoll.
»Wir arbeiten zusammen an einem Referat«, behaupte ich einfach.
»Linda, wir machen uns ein paar Sorgen.«
Mein Vater nimmt sich auch
Weitere Kostenlose Bücher