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Angstspiel

Titel: Angstspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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Es ist komisch, vor Julchens
Tür nicht über ihn zu stolpern. Er lag da immer, wenn sie ihn mal wieder aus ihrem Zimmer geworfen hatte, obwohl ich das in letzter Zeit eigentlich nie zugelassen habe. Jetzt liegt er in der Tierklinik. Julchen hatte mir erzählt, dass er jetzt auch nicht mehr trinkt und sie ihm heute Nachmittag mit einer Pipette ein bisschen Wasser ins Maul hat laufen lassen.
     
    Als ich vom Klo zurückkomme, reden Julchen und das Arsch gerade über Wolken. Wie die perfekten Wolken geformt sind. Dass sie manchmal den Himmel so weit machen. Dass der Blick dann wie auf einer Leiter ins Universum steigen kann. Und dass er manchmal wie eine niedrige Kellertreppe über einem hängt. Man das Gefühl hat, noch nicht mal gerade stehen zu können.
    Manchmal, wenn im Herbst der Himmel eine einzige Wand ist, fühle ich mich richtig eingesperrt.
    Wie ätzend ist das denn? Er fühlt sich eingesperrt? Ich würde mich jetzt am liebsten an die Tastatur setzen und ihm mal kurz schreiben, wie das wirklich ist, wenn man sich eingesperrt fühlt. Wenn man das Gefühl hat, die Luft wird immer schwerer. Wenn die Angst wie ein böser Tumor in einem pochert. Wenn man gleichzeitig losrennen und sich in sich selber verkriechen möchte.
    Julchen macht das wahrscheinlich Richtige. Sie wirft ihm Antworten wie Schokostücke hin. Viele, viele bunte Smarties. Er kann nicht anders, er greift zu. Ich frage mich nur, wer hier wem eigentlich etwas vorspielt.
     
    Denkt er jetzt an sie?
    Ich kann den Gedanken nicht ausblenden. Eigentlich war ich super-müde, als Philipp mich netterweise mit dem Auto nach Hause gebracht hat. Sogar zu müde, um darüber nachzudenken, über was ich mit Philipp reden
könnte, was er nicht albern findet. Jetzt bin ich wieder hellwach. Ist er wohl genauso wach? Denkt der Ghostwriter jetzt an Julchen? Überlegt er sich, wie er sie in die Angst schubsen kann?
    Ich weiß, dass es das Allerletzte ist, aber ein ganz klein bisschen wünsche ich mir, er würde sich jetzt Julchen als neues Opfer aussuchen. Würde mich fallen lassen. Ich glaube einfach, dass sie eher eine Chance hätte, das heil zu überstehen. Bei mir bin ich nicht so sicher.
     
    Ich sehe es ihr sofort an. Sie ist noch hundert oder zweihundert Meter entfernt, aber ich sehe es an ihren Schultern, an der Art, wie sie den Kopf hält. Ihr Gang federt nicht wie sonst. Julchen sieht aus, als hätte sie dicke Bleiplatten in den Schuhen, auf den Schultern.
    »Er ist gestern Abend gestorben«, sagt sie leise, als sie vor mir steht.
    Keine Ahnung, was ich darauf sagen soll. Ich hatte mir diese Situation vorgestellt, aber eine Antwort habe ich trotzdem nicht. Wünscht man Beileid, wenn ein Hund gestorben ist?
    »Bist du sehr traurig?«, frage ich lieber.
    Sie nickt und guckt ihre Schuhe an. Vielleicht wundert sie sich selber, wie schwer die sind.
    Ich bin nicht traurig. Ich bin mehr als das. Von einer Sekunde zur nächsten wird alles in mir kalt und schwer. Ich spüre meine Knie zittern. Mit Ali durch den Wald zu streifen, das waren in letzter Zeit die einzig sicheren Stunden. Ich hatte mich stark gefühlt mit ihm. Einfach stark und unverwundbar. Außerdem mochte ich die Art, wie er zu mir hochgeguckt hat. Immer ein bisschen verwundert, schelmisch und so dankbar irgendwie. Er hat sich einfach jedes Mal so gefreut, wenn ich da war. Ich habe es geliebt, wenn er sich direkt neben mir zusammengerollt
oder gleich auf meine Füße gelegt hat. Ich saß da oft wie festgetackert. Ich mochte mich nicht bewegen, weil ich Ali nicht wecken oder gar vertreiben wollte. Ich schlucke und schlucke und dieser Kloß in meinem Hals fällt nicht. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ich nie mehr in diese Augen gucken werde, dass er nie wieder meine Hand abschleckt. Es hatte sich so gut angefühlt, all meine Ängste in diese kleinen Ohren zu erzählen.
    Jetzt ist Ali tot. Und ich bin schuld. In mir macht sich eine lähmende Starre breit. Ich bin schuld. Die Worte liegen auf meinen Schultern, auf meinem Brustkorb, schwer in meinem Magen. Wie Zement fließt die Gewissheit durch mich hindurch und wird ganz langsam fest und hart.
    »An was ist er denn gestorben?«, frage ich leise.
    »Wissen sie noch nicht genau. Irgendein Scheißgift wahrscheinlich. Er muss das irgendwo gefressen haben. Mein Vater hat sich heute Morgen direkt den Nachbarn vorgeknöpft. Der hatte neulich so Chemiedünger bei sich im Garten verteilt. Mein Vater ist sich sicher, dass es das war. Manchmal ist Ali

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