Angstspiel
atmen. Jetzt nicht panisch werden, dann stülpt mein Magen sich sofort wieder um. Ich stehe ganz vorsichtig auf, gehe langsam zum Bett, lasse mich langsam daraufgleiten.
Ich warte.
Ich hätte mal nachlesen sollen, wie lange es dauert, bis es mit der Kotzerei und dem Durchfall losgeht.
Und was die ersten Anzeichen einer Salmonelleninfektion sind.
Es hilft mir definitiv nichts, wenn mir erst in drei, vier Tagen das erste Mal schlecht wird.
Ich stehe in Zeitlupe auf, gehe zu meinem PC. Über Inkubationszeit und Salmonellenvergiftung gibt es viel. Sehr viel. Und hundert verschiedene Angaben. Dieses Scheiß-Internet. Hier kann auch Schwanz und Kranz irgendwas reinschreiben. Keine Sau überprüft, ob das stimmt.
Ich glaube, dass mir leicht übel wird. Angaben über eine Ansteckungszeit von zehn Minuten finde ich allerdings nicht.
Es klopft und zwei Sekunden später steht Luise neben mir.
»Wann hast du denn morgen Schluss? Vielleicht können wir nach der Schule zusammen mal wieder in die Stadt gehen?«
Sie stutzt. Guckt auf die Eierschalen, den noch vollen Karton, die glitschige Schüssel, schließlich auf mich.
»Was machst du da?«
Ich starre sie panisch an.
Ja. Was mache ich hier?
»Hast du rohe Eier gegessen?«
Sie guckt leicht angewidert.
»Natürlich nicht. Ich hab gelesen, dass man mit rohen Eiern eine tolle Packung für die Haare machen kann.«
»Du hast dir rohe Eier in die Haare geschmiert? Das bringt was?«
»Nee, da sollte dann noch Bier rein. Und das habe ich dann nicht gefunden.«
Ich bin so eine verdammt schlechte Geschichtenerfinderin.
»Bier steht doch bestimmt noch im Vorratskeller«, hält Luise dagegen.
»Ja, aber nur alkoholfreies. Ich dachte, das geht damit bestimmt nicht, und deswegen habe ich die Eier ins Klo gekippt.«
»Warum soll das mit alkoholfreiem Bier nicht funktionieren?«
Luise ist einfach immer total hartnäckig. Das nervt.
»Weil Alkohol der Katalysator für die Verbindung ist.«
Was rede ich da?
»Der Katalysator?«
»Ja, verdammt. Dadurch beginnt irgend so eine chemische Reaktion. Was weiß denn ich. Ist ja auch scheißegal. Und ja: Von mir aus können wir morgen Nachmittag in die City.«
Sie hebt die Hände, als würde ich eine Knarre auf sie richten.
»Okay, okay. Ich nehme dich auch mit stumpfen Haaren mit.«
Sie geht rückwärts wieder raus.
Ich nehme die Eierschalen, das Glas, den vollen Eierkarton, stopfe alles in eine Plastiktüte und bringe es zur Mülltonne raus. Ich weiß gar nicht, warum ich das Glas auch wegschmeiße.
Ich lege mich wieder aufs Bett.
Salmonellenvergiftung! Was für eine glorreiche Idee. Ich spüre die Verzweiflung in mir steigen. Wie der Flusspegel bei einem Wolkenbruch. Ich will die Berechtigung, im Bett zu bleiben. Ich will nicht mehr raus in diese Scheißwelt. Ich will endlich so krank werden, wie ich mich schon so lange fühle. Ich möchte mich verkriechen. Wie ein krankes Tier in einem Bau. Ich möchte, dass irgendjemand zu mir kommt, mir über die Stirn streichelt und behauptet: »Es wird alles wieder gut.«
Und ich möchte es dann glauben.
Plötzlich muss ich an meine Mutter denken. Die hat vor ein paar Monaten mal eine Woche Heilfasten gemacht. Die hat echt eine Woche nichts gegessen. Vorher musste sie sich auskacken. Den ganzen Darm entleeren. Weiß nicht, warum das so wichtig ist. Auf jeden Fall hat sie so komisches Salz essen müssen und dann hat sie stundenlang das Bad blockiert. Immer wieder haben wir sie jammern gehört. Es war wohl echt unschön. Die hat echt gelitten. Vielleicht hat sie ja noch was von dem Zeug. Damit könnte ich ganz wunderbar eine Salmonellenvergiftung simulieren. Warum bin ich da nicht gleich drauf gekommen?
Ich gehe ganz leise ins Badezimmer meiner Eltern. In einer kleinen Truhe hortet meine Ma alle Medikamente. Ich wühle mich durch Herpescreme, Hustensaft, Wundheilsalbe, Durchfallblocker, homöopathische Fieberzäpfe und will fast schon enttäuscht aufgeben, als ich die Packung mit »Glaubersalz« finde. Das muss es sein. Ich überfliege nur kurz die Gebrauchsanweisung.
Als ich Schritte auf der Treppe höre, nehme ich schnell die Flasche, lasse sie in meiner Hosentasche verschwinden und klappe die Truhe schnell zu. Meine Mutter ist natürlich total überrascht, mich vor der Erste-Hilfe-Kiste zu sehen.
»Ich habe irgendwie Durchfall und habe mir mal eine Immodium geholt«, sage ich schnell und bin sofort stolz auf mich. Damit habe ich doch schon mal den Grundstein gelegt.
»Ist
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