Angstspiel
über die Wange. »Ist mit dir wirklich alles in Ordnung?«
»Geht schon. Ist wohl so ein blöder Virus.«
»Hoffentlich.«
Sie macht das Licht aus, als sie geht. Sie ahnt was. Sie ahnen alle was. Ich sehe sie dasitzen und reden. Darüber, dass ich mich verändert habe. Dass ich verschlossener geworden bin. Ich höre, wie sie beschließen, mich nicht zu bedrängen. Mich nicht zu fragen, einfach abzuwarten, bis ich von mir aus was sage. Deswegen mag ich meine Eltern so. Sie sind einfach gut. Es tut mir so leid, dass ich die Chance versäumt habe, mit ihnen zu reden. Jetzt ist es zu spät, ich kann ihnen die Wahrheit nicht mehr sagen. Die Wahrheit ist, dass ich an Opas Tod schuld bin. Weil ich
nichts von der Bedrohung gesagt habe. Weil ich mir nicht habe helfen lassen. Jetzt würde ich ihre Hilfe annehmen wollen. Inzwischen wäre es mir egal, ob sie mich für eine Psychopathin halten würden oder für einen Schwächling, der ohne Luise nicht leben kann. Ich würde sogar freiwillig bei einem Psychodoc auf der Couch Platz nehmen. Aber jetzt hat die Sache eine andere Dimension. Jetzt habe ich mich schuldig gemacht. Und deshalb kann ich ihnen nie erzählen, was los ist. Muss ihre fragenden Blicke weiter fragen lassen. Wahrscheinlich haben sie Angst um mich.
Ich habe auch Angst um mich.
13
L uise ist nicht ohne mich in die Stadt gefahren. Sie kommt zum Mittagessen nach Hause. Also, zu ihrem Mittagessen. Mir steht nicht der Sinn nach Essen. Mit einem Teller Chili con Carne macht sie es sich in meinem Zimmer bequem. Allein von dem Geruch wird mir fast übel. Ich will ihr das aber nicht sagen. Ich will, dass sie bleibt. Sie erzählt von der Ausstellung. Dass da ein paar ganz interessante Animationen zu sehen waren und wie toll unsere Schule ausgestattet ist und dass es bestimmt super Spaß macht, da jetzt das Abi zu machen.
»Wir verbringen ja nicht den ganzen Vormittag in der Pausenhalle vor irgendwelchen Monitoren«, gebe ich zu bedenken.
»Schade eigentlich«, sagt sie und lacht.
Wir spinnen weiter und kommen irgendwann auf die Idee, dass eine Schule, die dermaßen gut ausgestattet ist, eigentlich mehr auf die Beine stellen könnte. Wir malen uns aus, wie Luise supergeniale Computeranimationen erfindet, mit denen das Lernen einfach nur geil ist, und wie wir beide damit von Schule zu Schule reisen, um diese Erfindung vorzustellen. Meine Aufgabe wäre das Marketing. Es tut so gut, sich ausnahmsweise mal in so warmen Fantasien zu verlieren. Nicht immer nur Horrorvorstellungen. Mir gefällt die Idee des Reisens dabei ganz besonders gut. Weg hier. Raus hier. Wir würden uns einen alten VW-Bulli kaufen und würden mit einer ganz neuen Form
des Unterrichts durchs ganze Land reisen. Ich als Marketing-Managerin müsste einfach nur die gelangweilten Lehrer davon überzeugen, dass man mal was Neues wagen könnte. Neue Wege gehen. Interaktiver Unterricht, mit dem sogar Geschichte Spaß macht - da muss doch jeder Lehrer hellhörig werden.
Begeistert hänge ich meinen Gedanken nach, als Luise sagt: »Wusstest du eigentlich, dass Mama und Papa überlegt haben, die Wohnung hier unten neu zu vermieten?«
Luise erwähnt das ganz nebenbei, studiert dabei, ob sie ihre Beine mal wieder rasieren muss.
Mir wird spontan wieder schlecht. Und daran ist wohl ausnahmsweise nicht das Salz schuld.
Die Wohnung hier vermieten? Und was ist mit mir? Ich will hierbleiben. Hier in meiner Höhle. Luise wartet gar keine Antwort ab.
»Aber ich habe gesagt, dass ich ganz gerne zu dir in den Keller ziehen würde. Dann hätten wir unsere eigene kleine Wohnung.«
»Hast du da wirklich Bock drauf?«, frage ich vorsichtig. Ich will nicht zeigen, wie schön ich das fände. Tür an Tür mit Luise. Wir beide hier unten in unserer eigenen kleinen Welt.
»Ich fände das ganz cool. Wenn die da oben uns auf den Nerv gehen, könnten wir uns sogar hier unten was kochen. Oder sogar mal was grillen. Die Terrasse ist doch super-genial«, sagt Luise.
Ich könnte sie knutschen. An ihrem Blick sehe ich, dass sie sich schon wieder was Irres überlegt.
»Vielleicht sollte ich keine Computeranimation erfinden, davon gibt es ohnehin schon genug und womöglich ist deren Zeit längst vorbei. Wir könnten ein Theaterstück wie eine Computeranimation schreiben. Das Bühnenbild sieht aus wie ein riesiger Monitor. Das wäre cool.«
Wenn irgendwo keine Bühne ist, dann schafft Luise sich eine. Das war schon immer so. Und ich bin schon immer einen Schritt zur Seite getreten,
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