AnidA - Trilogie (komplett)
Freundin Tallis lehnte an der Wand. Unter ihren geschlossenen Lidern quollen Tränen hervor.
»Hüterin«, flüsterte eine Grennach. Eine andere wiederholte das Wort.
Tallis hob die Hände. »Nun seht ihr es selbst, meine Schwestern. Ihr seht, dass wir die Entscheidung schon vor Jahren getroffen haben. Es liegt nicht mehr in unseren Händen, über Ter'briach zu entscheiden. Wir werden über das reden, was hier geschah, wenn unsere Gemüter sich beruhigt haben. Lasst mich nun mit der neuen und der alten Hüterin allein, ich bitte euch.« Die Grennach-Ältesten erhoben sich ohne Widerspruch und verließen das Nest, Kallis zwischen sich führend, die inzwischen wieder bei Bewusstsein war, wenn auch überaus benommen.
Ich blickte wieder gebannt auf das Herz der Erde nieder, das so harmlos in meiner Hand lag. Ylenia setzte sich schweigend neben mich und ließ in einer tröstenden Geste ihre Hand auf meiner Schulter ruhen. Ihre Augen ruhten in seltsamer Distanz auf Jinqx, die in aller Seelenruhe ihr Schnitzmesser hervorgeholt hatte und damit ein kleines Stück rötlichen Holzes bearbeitete. Ich löste bedauernd meine Augen von Ter'briach und reichte sie mit einem langen Seufzer Jinqx. Sie sah darauf nieder und blickte mich dann reglos an, ohne irgendwelche Anstalten zu machen, sie mir abzunehmen.
»Das geht nun nicht mehr«, sagte Tallis. »Ter'briach ist die größte Bürde von allen. Du bist auserwählt, sie zu tragen, und ich bedaure das von ganzem Herzen. Du kannst dich nicht mehr von ihr trennen, jedenfalls nicht, ohne dein Leben zu gefährden.«
»Aber Jinqx hat sie auch getragen und konnte sich ohne weiteres wieder von ihr trennen«, gab ich kläglich zu bedenken. Es stimmte, etwas in mir widerstrebte heftig bei dem Gedanken, Ter'briach wieder fortzugeben. Jinqx sah mich an und lächelte dünn. Mir war, als könne sie meine innersten Regungen erkennen. Sie streckte die Hand aus und sah mich spöttisch an. Ich fingerte zögerlich an der Brosche herum. Meine Hand schloss sich um das Herz der Erde. Ich warf Jinqx einen trotzigen Blick zu. Niemand würde mir Ter'briach entreißen, niemand! Sie gehörte mir, und das für alle Zeiten. Ich allein war ihre rechtmäßige Hüterin. Jinqx' Lächeln wurde breiter und ein wenig traurig. Tallis seufzte, und Ylenias Griff um meine Schulter verstärkte sich.
»Das war es, was auch deine Großmutter erleben musste«, sagte Tallis leise. »Du kannst die Herzen nicht mehr fortgeben, wenn sie dich erkannt haben. Lieber würdest du sterben, als dich von ihnen zu trennen. Verstehst du, Eddy? Ich wusste, dass deine Großmutter tot ist, als ich Ter'firan fand. Elaina hätte sie sonst niemals zurücklassen können.«
Ich wagte nicht, ihren Blicken zu begegnen. Was hatte das alles mit mir zu tun? Ich wollte nichts davon wissen, und ich wollte nichts mehr, als diese unheilvollen Herzen wieder loszuwerden. Schon bei dem Gedanken daran brach mir allerdings der kalte Schweiß aus. Tallis' mitleidvolle Augen entließen mich und richteten sich auf die gelassen dahockende Jinqx. »Danke, Sturmkrähe«, sagte die alte Grennach. »Du hast die Last lange getragen und meinem Volk einen unschätzbaren Dienst damit erwiesen. Ich wollte, ich könnte dich angemessen entlohnen.«
Jinqx lachte. »Du schuldest mir keinen Dank, Nestälteste. Ter'briach war mir keine Last. Was mich bedrückt, ist anders beschaffen.« Sie stand auf und schüttelte ihre Kleider zurecht. »Wenn ihr mich nun nicht mehr benötigt, werde ich gehen. Ich war sehr lange hier bei euch und muss nun weiterziehen.«
Tallis nickte voller Bedauern. »Ich hatte gehofft, du würdest bleiben, bis dies hier vorbei ist«, sagte sie traurig. Sie warf mir einen flüchtigen Blick zu. »Gibt es hier wirklich nichts, was dich noch halten könnte?«
Ylenia regte sich unbehaglich, und Jinqx zögerte. »Es wäre nicht sehr anständig, oder?«, fragte sie. »Ich muss weiterziehen, Nestälteste, das weißt du. Jetzt fällt der Abschied noch leicht, doch später würde er sehr schmerzen.«
Tallis senkte den Kopf. Ich sah, dass sie mit sich kämpfte. Dann blickte sie auf, und ihr Gesicht war hart. »Ich bitte dich, zu bleiben, Sturmkrähe«, flüsterte sie. »Deine Anwesenheit wäre hilfreich. Ich muss das Schicksal unserer Welt über das von Einzelnen stellen, auch wenn es schmerzhaft ist.«
Jinqx sah sie mit unbewegter Miene nachdenklich an, und meine Tante seufzte schwer. »Ich helfe euch, Nestälteste«, sagte Jinqx schließlich. Ihre
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