AnidA - Trilogie (komplett)
waren, Kartoffeln zu schälen, Wäsche zusammenzulegen oder Unkraut zu jäten. »Aber wir hier auf dem Lande sind uns nicht zu fein, mit anzupacken. Auf solch einem Hof gibt es wahrlich genug für jeden zu tun, da kann man sich nicht vornehm zurücklehnen und darauf warten, dass jemand einem die Arbeit abnimmt.«
Die Geschwister hatten diesen Vortrag zu hören bekommen, seit sie alt genug waren, ihren eigenen Beitrag zur Hof- oder Hausarbeit zu leisten. Tante Ysabet duldete absolut keine Drückebergerei. Also hockte Ida an diesem Nachmittag ergeben im Johannisbeergebüsch und pflückte mit rot gefärbten, klebrigen Fingern ganze Körbe voll reifer Beerenbüschel.
Amali hat es gut, dachte sie und leckte sich die Finger ab. Sie lehnte sich auf die Ellbogen zurück und blickte in den nahezu weißen, dunstig verschleierten Himmel hinauf. Hoch oben zog ein Vogel seine Kreise. Ida kniff die Augen zusammen, um zu erkennen, was es sein mochte. Vor einigen Tagen war ein Habicht über Tante Ysabets Hühnerhof hergefallen und mit einem der jüngeren Hühnchen entkommen, bevor die durch das panische Gegacker alarmierten Knechte endlich mit Knüppeln herbeigelaufen kamen.
Ihre Schwester hatte im Frühjahr bereits ihr zweites Kind bekommen, dabei war das erste, ein Mädchen, noch nicht einmal entwöhnt. Ida legte sich ins Gras und schloss die Augen. Zwei schreiende, fordernde Säuglinge, die ihre Mutter und die Amme keine Nacht schlafen ließen ... nun, vielleicht war sie doch nicht gar so schlecht dran mit Tante Ysabet und ihren Johannisbeeren. Zumindest nachts pflegten sie Ida in Ruhe zu lassen.
Eine kleine Schweißperle lief kitzelnd über ihren Hals und rann in ihren Ausschnitt. Ida wischte sich über das feuchte Gesicht und versuchte vergeblich, ihre widerspenstigen Haare aus der Stirn zu pusten. Der schwere Zopf in ihrem Nacken war bei diesen Temperaturen wahrlich kein Vergnügen. Sie stellte sich nicht zum ersten Mal vor, wie sie ihn kurzerhand abschnitt. Aber Tante Ysabet würde der Schlag treffen und ihren Vater mit Sicherheit auch.
Ein weiches Sirren schlug an ihr Ohr. Sie wandte träge den Kopf, ohne die Augen zu offen. Das trockene Gras, das ihre Nase kitzelte, roch verbrannt. »Hallo, Fiamma«, murmelte sie schläfrig. »Warm genug für dich heute?« Sie blinzelte durch die Wimpern. In einem Kreis versengten Grases hockte mit angezogenen Knien die Feuerelfe und biss mit wonnevoll verzogenem Gesicht in eine Johannisbeere, die sie zierlich zwischen den Fingern hielt. Sie leckte sich die Mundwinkel mit einer winzigen roten Zunge und nickte ernsthaft.
»Sehr angenehm, diese Temperatur.« Sie schluckte den Rest der Beere. Dann spuckte sie damenhaft einen Kern aus und wischte die Finger am Gras ab. Es zischte leise, und ein kleiner Schwelbrand entstand, den sie energisch mit ihrem nackten Fuß austrat.
»Ich verstehe nicht, wieso ihr nicht ständig alles um euch herum in Brand setzt«, staunte Ida und stützte ihre Wange in die Hand.
»Alles eine Frage der Willenskraft.« Fiamma wackelte mit den Zehen. »Ich übe allerdings noch, wie du siehst.« Sie breitete ihre fast durchsichtigen Flügel aus und seufzte wohlig. »Hast du schon eine Antwort?«, fragte sie nach einer Weile schläfrigen Schweigens.
Ida tastete nach ihrer Schürzentasche und lächelte, als sie das Papier darin knistern hörte. »Ja, gestern kam ein Brief.«
Fiamma schrie spitz und erfreut auf. »Das ist doch einfach flamme, Ida, wie kannst du denn nur so ruhig daliegen und tun, als wäre nichts? Zeig, ich will ihn sehen!«
Ida runzelte die Stirn und fischte den Brief heraus. »Fass ihn aber ja nicht an! Ich habe keine Lust, ein Aschehäufchen mit mir herumzutragen.«
»Pah«, erwiderte die Feuerelfe spitz. »Tu nicht so, als würde ich dir ständig deine Korrespondenz einäschern, du armseliger Glühwurm!« Ida gluckste und faltete das Papier auseinander. Sie legte es ins Gras, und die Elfe entflammte ihre Flügel, um sich darüber in die Luft zu heben. »Ah, das ist ja feurig«, sagte sie aus tiefstem Herzen. »Du freust dich sicher schrecklich, nicht, Ida?«
Das Mädchen zog die Beine an und legte ihren Kopf auf die Knie. »Ich weiß nicht«, sagte sie langsam. »Ich habe wirklich darauf gehofft, aber jetzt, wo es soweit ist, bekomme ich doch ein wenig kalte Füße. Mein Vater wird es nicht verstehen.«
Fiamma nickte altklug. »Mein Vater würde wahrscheinlich auch ziemlich aschig, wenn ich so etwas täte. Aber wir nehmen das alles nicht so
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