Animus
Katya war der Meinung, dass das B der wundervollste, anschmiegsamste Buchstabe überhaupt sei, kuschelig wie eine Bettdecke, warm wie ein Bullerofen, kurvig wie eine Birne. Ich musste jedes Mal lachen, wenn Katya voller Inbrunst mit ihrer B-Litanei begann, auf ihrem Sessel saß und Bs hauchte. Ich mutmaßte dann lautstark eine gewisse Bbbbesessenheit. Aber vermutlich mochte Katya das B nicht zuletzt, weil ihr Nachname mit einem B anfing. Sie hieß Katya Brown, eigentlich Katarina von Brunas, aber den alten litauischen Nachnamen hatte die Familie nach ihrer Ankunft in Amerika abgelegt. Was Katya sehr bedauerlich fand. Sie versuchte, möglichst oft und intensiv melancholisch auszusehen, viel Wodka zu trinken, und hatte sich vor ihrem Gefängnisaufenthalt sogar die Mühe gemacht, von ihrer damals noch lebenden Großmutter wenigstens einige Brocken der komplizierten Sprache ihrer ursprünglichen Heimat zu erlernen.
»Sandwich und Wodka«, Katya kam mit einem beladenen Tablett aus der Küche und stellte es auf den Wohnzimmertisch. »Sollen wir fernsehen?«
»Bloß nicht! Erzähl mir lieber, was du getrieben hast.«
Katya grinste und warf sich sportlich in den Sessel, der unter der Wucht ihrer Bewegung ächzte. »Einmal das Kamasutra rauf und runter und dann das Ganze mit umgekehrter Rollenverteilung. Nicolas ist sehr ausdauernd. Und ich natürlich auch.«
»Natürlich.« Ich biss mit Hingabe in das Sandwich. »Das tut gut, vielleicht wird mir davon besser.«
»Ist dir nicht gut?« Katya ließ ihre Teetasse sinken.
»Keine Ahnung, was los ist. Ich muss demnächst eh zu Schmelzer, der kann mich checken. Aber erzähl lieber von dir. Ich habe hier nur herumgehangen und zum Fenster rausgeschaut. Ich brauche ein paar Geschichten von den Zombies da draußen, damit ich nicht permanent über die Zombies hier drinnen nachdenke.«
»Hey, ich bin kein Zombie. Nicolas fand mich heute sogar äußerst lebendig«, bemerkte Katya mit vorwurfsvollem Schmollmund und unterließ es, näher auf meine Übelkeit einzugehen. »Um dich nicht länger auf die Folter zu spannen: Wir waren in einer Suite im Hilton, mit Champagner und allem Drum und Dran.«
»Und du hast bezahlt. Der Kerl hat doch nichts in der Tasche!«
»Aber jede Menge in der Hose«, grinste Katya. »Ich wollte mal aus seiner tristen Bude raus. In Nics Zimmer vergeht mir alles. Ich weiß nie, ob die Bettwäsche raschelt oder die Schaben unter der halb losen Tapete …«
»Erspare mir die Details«, stöhnte ich gequält auf.
Katya ließ sich nicht stören. »Also, wir gingen ins Hotel – tollen Teppichboden haben die da, der ist irrsinnig dick und flauschig, hat nur ’ne ganz beschissene Farbe, so wie Albatroskacke … Okay, ich komme zur Sache! Wir fuhren mit dem Lift hoch – leckerer Liftboy –, gingen ins Zimmer. Ich sage dir, ein Luxus ist das da, fast wie im Weißen Haus. Stell dir mal vor, du würdest im Weißen Haus vögeln, aber mit wem bloß? Vielleicht mit March? Ich glaube, der ist ganz schön durchtrainiert … wäre doch ’ne interessante Aufgabe, so einen wohlgeformten Eisberg zum Schmelzen zu bringen, was meinst du, Lucy?«
»March könntest du mir auf den Bauch binden, bestenfalls würde ich es unbequem finden.«
»Und was ist mit deinem Exschatten, dem smarten Pete? Du kannst mir nicht erzählen, dass du nicht scharf auf ihn bist.«
»Der arbeitet aber nicht im Weißen Haus«, entgegnete ich.
»Ja, und?«, fragte Katya verwirrt, denn sie hatte über ihrer Wer-mit-wem- Spekulation das Wo aus den Augen verloren.
Ich lachte leise, nippte an meinem Wodka, stellte das Glas ab und trat zum Fenster. Ich schob einen Flügel nach oben, damit die deutlich abgekühlte Luft ungehindert ins Zimmer strömen konnte. Draußen war es inzwischen dunkel geworden. Der Regen hatte aufgehört, doch kein einziger Stern war zu sehen. Neonreklamen und Autoscheinwerfer erhellten die Straßenschluchten, wurden jedoch in den oberen Stockwerken der hohen alten Wohnhäuser von der düsteren Trübnis des Himmels verschluckt. Bis zu uns drang kein Licht vor.
5. Die Terrorzelle
Marc, 32, Aussteiger
Das große Doppeltor aus Industrieglas schien blind vor Schmutz. Als Conrad es unter entsetzlichem Quietschen öffnete, konnte ich sehen, dass die Scheiben von innen mehr schlecht als recht mit einer schmutzig weißen Farbe bepinselt waren, damit kein Blick hindurchdrang. Sofort schlug uns ein entsetzlicher Gestank entgegen. Es roch nach Urin, Moder, Schimmel, Altöl und nach
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