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Animus

Animus

Titel: Animus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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Schweiß. Der Sonnenstrahl, der durch das geöffnete Tor fiel, warf eine gleißende Schneise in den Raum. Staubpartikel tanzten in der Luft. Conrad – er war vor einer Woche sechsunddreißig geworden und trug über dem schmuddeligen blauen Overall seine immer noch langen schwarzen Haare zu einem Zopf geflochten – ging hinein und drehte an einem von Spinnweben überzogenen alten Porzellanlichtschalter. Halogenfluter erhellten nun auch den hinteren Teil der Halle. Ich trat ein und warf einen ersten Rundblick durch die Halle. Es herrschte ein unbeschreibliches Durcheinander. Große und kleine, geöffnete und verschlossene Kisten standen ohne erkennbares System in der Gegend herum, Maschinen- und Karosserieteile versperrten jeglichen Weg, Schrauben, Nägel und diverse Werkzeuge lagen auf dem Boden verstreut, als wäre die Arbeit von einer Sekunde auf die andere aufgegeben worden. Ich schob meine Hände in die Taschen meiner Jeans und blieb kurz hinter der Tür stehen. Mein angewiderter Blick und mein zögerliches Verhalten wurden von Conrad zunächst ignoriert. Er stellte sich neben mich und klopfte mir mit jovialer Geste auf die Schulter.
    »Na, wie findest du das?«, fragte er mit einem Stolz in der Stimme, als würde er die frisch renovierte Metropolitan Opera präsentieren.
    »Es stinkt«, gab ich unwirsch zurück.
    »Sei nicht so kleinlich. Die letzten zwei Jahre haben hier ein paar Penner gewohnt. Aber wenn meine Jungs erst mal richtig sauber gemacht haben, dann wird das eine feine Bude für uns. Mensch, Marc, eine bessere Zentrale finden wir nicht. Die Werkstatt ist perfekt, und dann noch das Wohnhaus dazu …«
    Conrad ging in die Mitte der Halle, bückte sich und versuchte, eine der morschen Holzbohlen, die dort in den Boden eingelassen waren, anzuheben. Doch er langte in einen abgebrochenen Nagel und riss sich den Finger auf. Fluchend ließ er von seinem Vorhaben ab, lutschte das Blut von seinem Finger. »Hier war früher eine Grube. So haben die das genannt, weil sie damals in ein Loch unter die Autos gekrochen sind, um sie zu reparieren. Vor der Erfindung von Hebebühnen. Für uns sind die Gruben ein prima Versteck. In der Halle sind vier davon. Außerdem kommt hier eh niemand her. Mitten in Queens, unauffälliger geht’s kaum. Queens ist noch öder als früher. Außer mal einem Ladendiebstahl passiert gar nix. Hier rücken dir die Bullen nicht auf die Pelle, hier siehst du nicht mal welche! Ich habe das ganze Gelände für ’n paar müde Dollar bekommen. Schau dich ruhig um.« Conrad lutschte wieder an seinem blutenden Finger und sah mich erwartungsvoll, aber auch mit verhaltenem Misstrauen an.
    »Mir egal, ich hab’s dir schon gesagt«, erwiderte ich bestimmt. Ich hatte mir nicht die Mühe gemacht, die Halle genauer zu begutachten.
    Conrad tat so, als konzentrierte er sich voll auf seinen Finger. Seine Augen verengten sich, während er geräuschvoll saugte. Ich kannte ihn verdammt gut. Er überlegte, ob er seiner Wut freien Lauf lassen konnte oder ob es geschickter sei, weiterhin den wohlgesinnten und verständnisvollen Kumpel zu mimen, bis er mehr Informationen über meine Pläne hätte. Er entschied sich für Letzteres, nahm den Finger aus dem Mund, ging auf mich zu, legte mir den Arm um die Schulter, mit einem für die Geste der Freundschaftlichkeit zu festen Griff, und führte mich aus der Halle heraus. »Okay, lass uns rüber ins Haus gehen. Wir zischen ein Bier und unterhalten uns in aller Ruhe, so wie früher.« Dabei knuffte er mich mit der freien Hand scherzhaft in den Magen. Ich ließ es zu, wohl wissend, dass der sorglos-private Umgangston gespielt war. Dass zwischen uns eine ungeklärte Missstimmung herrschte, sah jeder Idiot. Wir lächelten uns schief an, aber es lag Argwohn in unseren Augen. Conrad schien mich zu belauern, darauf zu warten, mit welchem Zug ich die Partie eröffnete, während ich mir nicht darüber im Klaren war, ob es ein Freundschafts- oder ein Vernichtungsspiel werden würde.
    Innig wie Blutsbrüder liefen wir dennoch quer über den Hof. Einigkeit demonstrierend, zerrte Conrad mich, seinen alten Kumpel und Weggefährten, ins Wohngebäude. Das Haus hatte ebenfalls schon bessere Jahre gesehen. Es war windschief, baufällig, die grüne Farbe blätterte vom Holz. Nichtsdestotrotz besaß es einen für Conrads Zwecke großen Vorteil: Es gab keine unmittelbaren Nachbarn. Zudem war das komplette Werkstattgelände, in dessen hintere linke Ecke das Wohnhaus stand, von einem

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