Animus
hohen Bretterzaun umgeben. Auf der rechten Seite des Zauns befand sich eine verlassene Baustelle, auf der anderen Seite stand in einiger Entfernung ein leer stehendes, abbruchreifes Haus.
Wir gingen durch den Flur zum Wohnzimmer, wo sieben zwielichtige Gestalten Bier trinkend und Popcorn futternd vor der Glotze herumlungerten. Conrad sah geringschätzig auf den harten Kern seiner New Yorker Sektion, eine bunt zusammen gewürfelte Truppe von haltlosen Verlierern und gewalttätigen Fanatikern, die uns beim Eintreten keines Blickes würdigten.
Conrad ließ mich endlich los. Den ganzen Weg hatte er mich um die Schulter gefasst gehabt, als wolle er mich abführen. Er sah in die Runde, vor Wut schäumend. Normalerweise wäre ihm die Unordnung im Zimmer nicht einmal aufgefallen. Aber er wusste, dass diese uninteressierte Attitüde kein Ausdruck von Gleichgültigkeit war, sondern einen Affront gegen mich darstellte und damit eine deutliche Herabsetzung seiner, Conrads, Autorität. Er hatte mich in der Vergangenheit immer als seinen einzigen Vertrauten behandelt, was Missgunst, ja sogar Hass bei den anderen hervorgerufen hatte. Inzwischen fürchtete Conrad, das war nur allzu deutlich, diese Missgunst könnte vielleicht begründet sein. Er ahnte, dass das bevorstehende Gespräch mit mir nicht in seinem Sinne verlaufen würde. Da er aber seinen Zorn darüber nicht offenbaren wollte, kam es ihm sehr gelegen, sich an seinen Leuten auszutoben. Er schritt in die Mitte des Raumes und trat dem Ersten beide Beine weg, die er auf dem Tisch liegen hatte. Dann nahm er eine Bierflasche und warf sie gegen die Wand, wo sie mit einem lauten Knall zerplatzte und ihr Inhalt schäumend über die verblichene Tapete auf den Linoleumboden floss.
»Räumt mal auf, was ist denn das für ein Saustall hier!«, schrie er über die Köpfe der Betroffenen hinweg. Die kauten ungerührt weiter auf ihrem Popcorn, ohne ein Wort zu entgegnen. Einer von ihnen, dessen Bier sich gerade in die Immobilie ergoss, beugte sich träge vom Sofa nach vorne, griff unter den Wohnzimmertisch, holte von dort eine neue Flasche hervor und öffnete sie mit den Zähnen. Ich lehnte unterdessen mit verschränkten Armen im Türrahmen und beobachtete stumm die Szene.
»Komm mit, Marc, lass diese Penner hier verfaulen. Wir gehen hoch in mein Büro.« Conrad stieg die Treppe hoch. Ich folgte ihm nach zwei langsam verstrichenen Sekunden, in denen ich die Idioten vor dem Bildschirm fixierte.
Oben sah es etwas freundlicher aus. Auch wenn hier der gleiche modrige Geruch hing wie im ganzen Haus, so war es doch wenigstens aufgeräumt und einigermaßen sauber. Conrad holte uns zwei Bier aus dem Kühlschrank. Ich setzte mich auf den Sessel, Conrad nahm hinter dem Schreibtisch auf einem quietschenden Bürostuhl Platz.
»Schicke Kommandozentrale«, eröffnete ich in sarkastischem Ton das Gespräch. »Hätte Arafat sicher gefallen.«
»Der hat auch klein angefangen. Irgendwann ist er Präsident geworden.« Conrad legte seine Füße auf den Tisch.
»Und dann haben sie ihn vergiftet.«
»Das war die CIA, das weißt du.« Conrad machte eine Pause. Ich schwieg. Diese ganzen Verschwörungstheorien gingen mir schon lange auf den Wecker. Nach einer kurzen Pause, die wir mit Trinken überbrückten, schnitt Conrad das Hauptthema an: »Was hast du vorhin gemeint, von wegen du steigst aus? Und mal ganz grundsätzlich, Alter: Kannst du es in Zukunft gefälligst lassen, solche Bemerkungen vor den anderen zu machen? Die Sackgesichter trauen dir nicht über den Weg, das weißt du. Also, besprich so was zuerst mit mir! Klar?«
Ich nahm einen langen Zug aus meiner Bierflasche und legte nun auch meine Füße auf den Tisch. »Es wird keine Zukunft geben, Con. ›Ich steige aus‹ heißt, ich steige aus. Ich habe es satt, Grundsatzdiskussionen über unsere Aktionen zu führen. Wir sind schon lange nicht mehr einer Meinung.«
»Der Zweck heiligt die Mittel. Oder auch nicht, nach deiner Auffassung. Marc, du bist müde. Aber ich habe gehofft, dass du nach deinem Urlaub entspannter zurückkommen würdest.«
Ich maß ihn mit kalten Blicken. »Meine Entspannung war sofort im Arsch, als ich von dem Anschlag auf die U-Bahn in Brooklyn hörte. Con, das hat Menschenleben gekostet! Mütter, Kinder, Arbeiter und alte Leute sind umgekommen!« Ich nahm die Füße wieder vom Tisch und beugte mich ein wenig nach vorne, um meinen Worten mehr Intensität zu verleihen. Es hinterließ keine Wirkung bei Conrad.
Er blickte
Weitere Kostenlose Bücher