Animus
Stofftaschentuch, steckte sie in die Innentasche seines Sakkos und lächelte ins Auditorium.
»Meine Damen, Sie sind lange genug auf die Folter gespannt worden, immerhin sind einige von Ihnen schon seit fünf Tagen hier. Aber Sie werden verstehen, dass ich mit meiner Begrüßung gewartet habe, bis alle eingetroffen sind. Natürlich ist mir klar, dass Sie sich inzwischen ausgiebig mit den Damen unterhalten haben, die schon länger hier wohnen, und dass dadurch auch schon die eine oder andere Information über das Projekt ›Cassandra‹ und die Art Ihres Aufenthalts durchgesickert ist. Doch bevor ich Ihnen die Übertreibungen, Ausschmückungen und Andeutungen Ihrer Kolleginnen zurechtrücke, möchte ich uns erst einmal vorstellen. Der streng aussehende Herr auf dem Stuhl hier ist General Walcott, Sie haben zweifellos schon von ihm gehört. Er ist für die Abläufe und die Sicherheit zuständig, also sozusagen der Boss dieses Etablissements und aller Leute, die hier herumwuseln.«
»Der Herr Professor drückt sich ausnahmsweise unklar aus«, unterbrach Walcott, der sich zu meiner großen Freude sichtlich über die saloppe Beschreibung seiner Macht im Gefüge ärgerte. »Aber ich werde mich sowieso noch mit jeder Einzelnen von Ihnen näher befassen, sodass ich Sie genauer über meine Stellung und meine Befugnisse aufklären kann.« Mit diesen Worten stand er auf und ging hinaus. Ich fühlte mich sofort etwas besser.
Schmelzer fuhr ohne die geringste Irritation fort: »Dann hätten wir hier am Tisch die hübsche Esther, die Sie schon bei einem ersten Gespräch kennengelernt haben und die sich um Ihr seelisches Wohlbefinden kümmern wird.«
Bei einigen der Neuankömmlinge bemerkte ich unterdrücktes Grinsen. Offensichtlich hatten sie über die Lagerpsychologin schon ein ähnlich vernichtendes Urteil gefällt wie die Alteingesessenen.
»Tina kennen Sie ebenfalls. Ich möchte jedoch nicht unerwähnt lassen, dass sie sich im Laufe der Jahre zum guten Geist des Hauses hier entwickelt hat und dass Sie mit all Ihren Problemen bei ihr immer willkommen sind.«
»Wie bei mir selbstverständlich auch«, warf Esther zuckersüß ein.
»Selbstverständlich, äh…« Der Professor schien eine Millisekunde verwirrt. »Tina wird Sie im Übrigen mit ausbilden, da sie auf eine sechsjährige Erfahrung zurückblicken kann.«
»In was denn ausbilden, verdammt noch mal?«, erhob sich da eine ungeduldige Stimme aus dem bislang stummen Publikum.
»Gemach, junge Frau«, fuhr der Professor fort. »So weit sind wir gleich. Dazu wird Ihnen auch unsere allseits geschätzte Lucy, hier links neben mir, einiges erzählen können, denn sie macht den Job seit immerhin zehn Jahren. Doch nun zum Wesentlichen. Nachher können Sie dann all Ihre Fragen loswerden.«
»Ich möchte eine Zigarettenpause beantragen.« Eine schlanke Schwarzhaarige hatte die Hand erhoben. Nicht alle der Anwesenden fanden den Vorschlag gut, schien der Professor doch kurz davor, endlich die Katze aus dem Sack zu lassen. Nichtsdestotrotz waren sowohl ich als auch einige andere sofort aufgestanden, hatten unsere Zigarettenschachteln aus Shirts oder Hosen gezogen und traten den Weg nach draußen an. Eine Abstimmung oder Diskussion erübrigte sich. Außer Schmelzer und Esther, die den klimatisierten Raum bevorzugten, folgten schließlich auch die Murrenden dem Gros der Truppe.
Die Hitze New Mexicos, die im September kaum weniger schmerzhaft war als im August, traf uns wie ein Keulenschlag. Das Atmen fiel schwer, die Luft strömte dick und heiß in unsere Lungen. Doch das störte die Raucherinnen wenig. Auch ich zündete mir eine Zigarette an. Ich bemerkte, dass sich in den wenigen Tagen ihres Zusammenseins schon erste Allianzen unter den neuen Frauen gebildet hatten. Zwei warfen sich nebeneinander in den Sand, schlossen die Augen, verschränkten die Arme hinter dem Kopf und plapperten sinnloses Zeug über das Wetter, als würden sie ein Sonnenbad in Kalifornien genießen. Drei weitere stellten sich in einer Gruppe zusammen und rauchten schweigend. Nur eine hübsche, zierliche Blondine entfernte sich. Sie schlenderte hinüber zu den Feigenkakteen, um die Blüten zu betrachten. Die restlichen beiden gesellten sich zu Tina und mir und bestürmten uns mit Fragen.
Ich zog an meiner Zigarette, hörte nicht zu, war vielmehr damit beschäftigt, die Blondine zu beobachten. Während Tina versuchte, die Fragen der beiden Frauen abzuwehren, ging ich quer über den Platz.
»Kakteenblüten
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