Animus
teils verwirrtem, teils misstrauischem, teils angeekeltem Gesichtsausdruck.
»Es gelang mir, dieses Hormon zu isolieren und schließlich nachzubauen. Das jedoch war der zweite Schritt vor dem ersten. Damit dieses Hormon im menschlichen Körper seine Wirkung entfalten kann, braucht es eine Matrix, eine Art Muster. Ich weiß nicht, ob Sie sich in der Materie auskennen?«
Einhelliges Kopfschütteln war die Antwort.
»Was DNA ist, haben Sie aber sicher schon gehört, irgendwann in der Schule … Stellen Sie sich ein Puzzle vor. Damit der Körper die einzelnen Teilchen zusammensetzen kann, braucht er ein Muster, ein Bild, einen Plan. Reaktionen im Körper, also wenn Sie zum Beispiel einen Finger bewegen, werden durch sehr viele einzelne Vorgänge in Gang gebracht. Da ist der Befehl vom Kopf, die Weiterleitung des Befehls durch die Nerven an die Rezeptoren der Synapsen, die Ausschüttung von bestimmten Stoffen – aber das führt zu weit. Also, wir haben dieses Hormon. Damit unser Körper es erkennt und weiß, was er damit anfangen soll, braucht er eine gewisse Struktur. Die ist im Gencode der Ratte festgeschrieben. Wie Sie vielleicht wissen, ist das ganze System eines Körpers im Erbgut festgelegt wie in einem Plan, womit wir wieder bei der DNA wären. Nachdem ich das Hormon entdeckt hatte – das Ganze hat Jahre gedauert, stellen Sie sich das nicht so einfach vor –, machte ich mich auf die Suche nach dem entsprechenden Stück in der Ratten-DNA, den verantwortlichen Proteinen beziehungsweise Aminosäuren …«
»Ich hasse Ratten«, würgte die Schwarzhaarige hervor, die die Zigarettenpause beantragt hatte.
»Eine interessante Bemerkung. Vielleicht sollte Ihnen Esther etwas über das kollektive Unbewusste und die Archetypen erzählen …«, wollte Schmelzer schon abschweifen.
»C. G. Jung ist völlig überholt«, warf Esther knapp ein.
Schmelzer ignorierter Esther und sprach weiter zu der Schwarzhaarigen: »Das tut jetzt nichts zur Sache, aber dennoch können wir uns gerne mal darüber unterhalten, junge Dame. Doch zurück zum Thema. Ein winziger Baustein in der DNA der Ratte ist für die Produktion, Erkennung und Verwertung dieses Hormons verantwortlich. Wir fanden diesen Baustein, und es gelang uns schließlich, ihn in die menschliche DNA einzuschleusen. Der genetische Code ist im Aufbau bei allen Lebewesen gleich, aber die Aminosäuren sind sehr unterschiedlich. Wir mussten also noch Kompatibilitätsprobleme lösen. Es geht dabei um Transkription, Translation und Transfektion. Begriffe, die Ihnen nichts sagen werden, aber ich kann den Interessierten unter Ihnen in einer stillen Stunde mehr erklären und auch Literatur dazu geben. Jedenfalls werden wir Ihnen DNA-Fragmente mit einer ganz speziellen genetischen Information injizieren. Das hört sich vielleicht scheußlich an, vor allem für diejenigen unter Ihnen, die Ratten nicht ausstehen können. Aber seien Sie versichert, diese Bausteine machen Sie nicht zum possierlichen pelzigen Nager.«
Sofort wurden mehrere Fragen gleichzeitig in den Raum geworfen, doch Schmelzer hob abwehrend die Hände.
»Verzeihen Sie, meine Damen, ich bin noch nicht ganz fertig. Diese DNA, die Sie ins Rückenmark injiziert bekommen, muss sich in jede Zelle Ihres Körpers verteilen, damit das Hormon seine Matrix entwickelt und wirken kann. Das dauert leider ziemlich lange, nämlich fast zwei Jahre. Gefährliche Nebenwirkungen wurden dabei nicht festgestellt. Nach dem ersten Jahr wird erstmals das Hormon injiziert, und zwar monatlich. Dann beginnt auch das praktische Training, zu denen Ihnen Tina und Lucy mehr erzählen werden. Im dritten Jahr, also auf Stufe drei, bekommen Sie alle zwei Monate eine Verabreichung. In Stufe vier, fünf und sechs werden die Verabreichungen weiter reduziert, das Hormon lagert sich an. Die Ausbildung wird intensiviert. Ab Stufe sieben bekommen Sie keine Medikation mehr, Sie verlassen diesen ungastlichen Ort und kommen zum Einsatz. Dann gehören Sie zu den hochintelligenten Sensoren mit ausgeprägtem Animus.«
»Was für ein Ding?«, fragte eine der Frauen dazwischen.
»Animus ist lateinisch und bezeichnet die Seele wie auch den Geist und in einer weiteren Bedeutung die Vorahnung. Wir verstehen unter Animus den Geist als gleichberechtigte Einheit von Denken und Empfinden. Sie werden die Gefahren, auf die Sie trainiert sind, intensiver spüren als jeder andere Mensch. Dabei werden Ihr Denken und Ihr Empfinden kongruent sein, das heißt das Gehirn wird dem
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