Animus
Gepäck aus dem Kofferraum und wies lachend Devil zurecht, der mir dermaßen zwischen den Beinen herumwuselte und immer wieder vor Freude bellend an mir hochsprang, dass ich ständig über ihn stolperte.
Im Haus stieg ich die knarrende Holztreppe hoch. Das Geländer war wie die Wände weiß lackiert. Früher war es altrosa gewesen. Das Weiß sah frisch und sauber aus. Ich öffnete die Tür zu meinem Zimmer. Mein Jugendzimmer. Die alten Grunge-Plakate hingen noch, das riesige, viel zu weiche Bett war überzogen. Ich stellte meinen Rucksack in eine Ecke, ging über den Flur ins Badezimmer, nahm den Rasierpinsel meines Vaters in die Hand, betrachtete ihn lächelnd, stellte ihn wieder hin und wusch mir das Gesicht mit kaltem Wasser. Als ich beim Abtrocknen war, hörte ich unten die schweren Schritte meines Vaters und dessen dunkle Stimme, die schon vom Hausflur her rief: »Carol, warum hat der Hund so gebellt? Wem gehört der Wagen?«
Ich trat aus dem Badezimmer und blickte über die Galerie nach unten in die Stube. Caroline war aus der Küche getreten, lehnte an der Tür und lächelte meinen Vater schweigend an. Er stand in Gummistiefeln, mit einer riesigen Axt in der Hand da und betrachtete sie verständnislos. Plötzlich schien es ihm zu dämmern. Leise und verunsichert, als würde er fürchten, sich zu irren, fragte er: »Marc?«
»Hallo, Papa«, rief ich von oben. Mein Vater drehte sich um, hob den Blick und flüsterte: »Ich glaub’s nicht.« Dann schwoll seine Stimme an, und er donnerte grinsend: »Komm runter, du Scheißkerl, dass ich dir die Ohren langziehe!«
Ich schlenderte zur Treppe. »Würdest du bitte vorher die Axt weglegen?«
Wir lachten, ich nahm zwei Treppenstufen auf einmal, wir fielen uns in die Arme, drückten uns, bis mein Vater mich losließ, einen Schritt zurücktrat, mich mit wässrigen Augen anblickte und sich räusperte. Caroline forderte uns auf, endlich in die Küche zu kommen, bevor der Kaffee kalt sei.
Fast anderthalb Stunden unterhielten wir uns über dies und das, ohne die im Raum stehende, drängende Frage zu berühren. Charlie erzählte von der Arbeit. In letzter Zeit lief es immer besser, sodass sie das Geld, das sie verdienten, kaum ausgeben konnten, schon gar nicht in den Wäldern von Oregon. Sie brauchten nicht viel, das meiste steckten sie sowieso ins Haus. Ein neuer Außenanstrich sei geplant, das Badezimmer könnte vergrößert werden, und Devil sollte eine neue Hundehütte zum Bepinkeln bekommen.
Charlie designte Computerspiele für eine große Firma in Denver, wo er vor elf Jahren Caroline kennengelernt hatte. Sie arbeitete damals als freie Texterin für eine Werbeagentur und kam ab und zu in die Stadt, um ihre Kampagnen zu präsentieren. Ein Jahr nachdem Charlie und ich zu ihr und ihrer kleinen Tochter ins Waldhaus gezogen waren, gab sie ihren Werbejob ganz auf. Sie hatte ihn nie besonders gemocht und textete jetzt ausschließlich für Charlies Spiele. Sowohl Charlie als auch seine Firma waren mit den Ergebnissen der Gemeinschaftsarbeit mehr als zufrieden.
»Die Ballerspiele gehen nicht mehr so gut. Da bin ich ganz froh drum, die fand ich immer öde. Im Moment wollen die Leute mehr so ’n Kram mit Mythologie und fremden Welten. Jedenfalls hatte Caroline eine brillante … aber erzähl du, Carol!«
Caroline lachte. »Ach, das ist doch ganz banal. Ich kam auf die Idee, die alten Sagen und Märchen als Storylines zu verwenden. Charlie gibt dem Ganzen ein zeitgemäßes Outfit. Es verkauft sich prima. Die Reisen des Odysseus sind der Renner. Dabei kennt kaum noch einer Homer.«
Charlie fuhr fort: »Jason und die Argonauten laufen auch bestens. Nur heißt Jason jetzt Jesse, und das Goldene Vlies ist ein Laserschwert auf einem fremden Planeten. Einerseits finde ich es haarsträubend, die Klassiker so zu verbiegen. Aber vielleicht würde Homer es sogar mögen. Er war garantiert Actionfan.«
Caroline goss Kaffee nach und wechselte das Thema: »Was hast du die ganze Zeit getrieben?«
»Nichts Besonderes. Ich bin durch die Welt gezogen, war lange in Südamerika, habe ein bisschen Kohle auf Plantagen verdient und sie wieder an Stränden beim Surfen und Saufen verballert. Alles in allem habe ich mich als Nichtsnutz profiliert. Das soll jetzt aber anders werden. Ich will versuchen, eine Dozentenstelle für Literatur zu bekommen. Für irgendetwas muss mein Summa-cum-laude -Abschluss doch gut sein.« Leise fügte ich hinzu: »Am liebsten hätte ich was in Seattle.«
Caroline
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