Animus
zwischenzeitlich eingestellt.«
»Warum?«
Ich trat meine Kippe nach zwei Zügen aus. Sie schmeckte bitter. »Gewöhn dir das Fragen am besten gleich ab.«
Ich drückte Evelyn die Hand und wandte mich zu den Wohnbaracken, um Tina Auf Wiedersehen zu sagen. Als ich kurz darauf in den Jeep stieg und das Lager mit einer riesigen Staubwolke hinter mir ließ, versuchte auch ich, die Fragen nach dem Warum hinter mir zu lassen. Doch es gelang mir nicht.
ZWEITER TEIL
9. Die Wälder von Oregon
Marc, 32, Aussteiger
Nur noch etwa eine Stunde Fahrt. Ich war müde, sehr müde. Pennsylvania, Ohio, Indiana, dann Illinois, Missouri und Kansas hatte ich hinter mich gebracht. Endlose Highways, ein hypnotisierender Mittelstreifen. Zuerst noch Industrie, dann die Einsamkeit der Landstraße, Felder, dann und wann ein Truck oder ein Wohnwagen am Straßenrand mit frühstückender Familie am Aufklapptisch, immer weiter geradeaus. Stundenstopps in Motels, dreimal so viele Halbstundenstopps in Raststätten, dünner Kaffee und weiter, klebrige Doughnuts, weiter, ein Hotdog oder Rührei mit Speck und weiter. Jetzt war es fast geschafft. Alles grün, Bäume, viele Bäume, dichte Wälder, Berge voller Wälder, in der Ferne war schon der Mount Elbert zu sehen. Zu Hause. Nur noch etwa eine Stunde.
Dann war meine Müdigkeit wie weggeblasen. Ich fühlte mich frisch, angeregt, in freudiger Erwartung, die nur kurz von einer düsteren Empfindung überschattet wurde: Gleich würde ich in die kleine Stadt hineinfahren. Ich würde hindurchfahren, ohne nach rechts und links zu blicken, ich wollte sie nicht sehen, die Stadt, die Bewohner, schnell hindurch, bis zum anderen Ende, weg von der Stadt, zur Lichtung, wo das Haus stand. Ich atmete auf. Das alte Tor vor der Auffahrt würde quietschen, auf der Wiese würde die Schaukel stehen. Und die Hundehütte, fast hätte ich die Hundehütte vergessen. Das lag wohl daran, dass Devil seine Hütte nicht mochte, es sei denn, um dranzupinkeln. Und wenn sie das Auto hören würden, würden sie herauskommen, alle drei, Caroline, Papa und Devil, und würden Bauklötze staunen.
Knapp über zwei Jahre war ich nicht mehr zu Hause gewesen, hatte nur gelegentlich angerufen, um zu hören, ob alles in Ordnung sei. Wieder in Ordnung sei. Es war damals verdammt schlimm gewesen, vor allem für Caroline. Deshalb hatte sie auch wegziehen wollen. Zuerst. Aber sie konnte es dann doch nicht übers Herz bringen, ihr Elternhaus zu verkaufen. Sie war hier aufgewachsen, hatte eine glückliche Kindheit verbracht, dann alleine ihr uneheliches Kind großgezogen. Das ihr schließlich weggenommen wurde. Charlie hatte sie unterstützt in der Entscheidung hierzubleiben, es durchzustehen. Von den Leuten in der Stadt wollten sie nichts mehr wissen. Sie gingen nur noch zum Einkaufen hin, sprachen die nötigsten Sätze, fuhren zurück in ihr Haus und genügten sich selbst.
Ich musste damals weg, ich musste einfach, ich hätte es nicht ausgehalten, auch nur noch ein einziges Mal diese Heuchler zu sehen, diese Henker, diese …
Wut stieg in mir hoch, als ich durch die Stadt fuhr. Meine Hände krampften sich ums Lenkrad, bis die Knöchel weiß wurden. Wie ich mir vorgenommen hatte, schaute ich weder nach rechts noch nach links, bog noch zweimal ab. Den Berg hinauf, zur Lichtung. Als ich das quietschende Tor öffnete, hindurchfuhr, neben der Hundehütte parkte und die Haustür sich öffnete, fing ich an zu heulen. Ich heulte wie ein kleines Kind, als Devil mit seinen langen Deerhound-Beinen auf mich zuschoss, an mir hochsprang, als Caroline die Kartoffel, die sie gerade schälte und geistesabwesend mit vor die Tür gebracht hatte, fallen ließ und ebenfalls auf mich zustürzte. Sie wollte mich umarmen, doch Devil musste erst mit sanfter Gewalt beiseitegeschoben werden, bevor sie mich an sich drücken konnte.
»Mein Gott, Marc, Lieber«, stammelte sie, »dein Vater wird sich vielleicht freuen, ich freue mich auch schrecklich. Meine Güte, das gibt’s doch gar nicht!« Dann konnte sie nicht mehr reden, sie weinte nun auch, lachte, alles durcheinander und zog verlegen ein Taschentuch aus ihrer Schürze, um sich zu schnäuzen.
»Wo ist Papa denn?« Ich bekam meine Gefühlsaufwallung langsam wieder in den Griff und kniete mich zu meinem alten Hund, damit er mir das Gesicht abschlecken konnte.
»Im Wald. Holt Kaminholz. Komm rein, ich mach Kaffee. Wo ist dein Gepäck?«
»Ich habe nur einen Rucksack.« Ich ging zurück zum Wagen, nahm mein
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