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Animus

Animus

Titel: Animus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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schluchzte laut auf, presste die Hand auf den Mund und verließ die Küche. Erschrocken schaute ich ihr hinterher, wollte aufstehen und ihr folgen, doch Charlie hielt mich auf. »Lass sie.«
    »Was hat Carol?«
    »Ev ist verschwunden.«
    Ich fuhr auf. »Was heißt verschwunden? Sie kann doch nicht einfach aus einem Hochsicherheitsgefängnis …«
    »Das letzte Mal, als wir sie besuchen wollten, wurden wir an der Pforte abgewiesen. Sie sei nicht mehr da, sei verlegt worden. Wir bestanden darauf, den Direktor zu sprechen, doch dieses arrogante Arschloch konnte oder wollte uns auch nicht mehr sagen. Sie sei abgeholt worden, Befehl von oben, um in irgendeine Ausbildung integriert zu werden. Es gehe ihr gut, wir sollten uns keine Sorgen machen, wir würden bestimmt bald von ihr hören. Das ist fast zwei Monate her. Wir haben Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, waren beim Gouverneur, doch keiner hat uns geholfen. Wir haben keinen Schimmer, wo sie ist oder was passiert ist. Caroline wird noch verrückt vor Sorge!«
    Ich saß wie betäubt auf meinem Stuhl. »Das kann doch nicht wahr sein! Wie ging es ihr, als ihr sie das letzte Mal gesehen habt? War irgendetwas vorgefallen?«
    »Nichts«, sagte Caroline, die mit nassen Augen wieder in die Küche trat. »Sie war wie immer. Lieb und bemüht, uns glauben zu machen, dass es ihr gut geht.«
    »Hat Ev sich mal beschwert, weil ich sie nie besucht habe?«, fragte ich mit kratzigen Stimmbändern.
    Caroline setzte sich wieder an den Tisch. »Ich war dir anfangs böse deswegen, Ev nicht. Als ich sie einmal danach fragte, lächelte sie nur und meinte, sie würde es genauso machen wie du. Sie würde es nicht ertragen können, dich im Gefängnis zu sehen. Und sie würde nicht wollen, dass du sie so siehst. Du hättest alles für sie erledigt. Alles, was nötig war. Ich habe nicht verstanden, was sie meinte. Aber seitdem bin ich auch nicht mehr sauer auf dich. Mir war nie klar, wie sehr du an Ev hängst. Dabei warst du schon so groß, als ihr euch kennengelernt habt. Und sie war eine kleine Rotznase.«
    Mir standen die Tränen in den Augen. Ich verstand sehr wohl, was Ev gemeint hatte, doch ich wollte es Caroline nicht erklären. Das hatte ich Ev versprochen. Also lenkte ich das Thema auf bessere Zeiten: »Als Papa und ich damals hierherzogen, fand ich zuerst alles beschissen. Weg aus der Großstadt, weg von meinen Freunden, hin zu den Hinterwäldlern. Dazu ’ne neue Frau, die sicher Mutter spielen wollte, und dann auch noch ’ne elfjährige Göre. Mein einziger Trost war, dass ich bald wieder weg konnte auf ’s College. Carol, du erinnerst dich garantiert, wie mies ich mich damals benommen habe. Aber Ev mochte ich sofort, auch wenn ich es nicht zugab. Schon am ersten Tag fand ich sie klasse. Sie hat sich auf die Schaukel gesetzt und gemeint, ich solle mir bloß nicht einbilden, dass ich mich um sie kümmern oder mit ihr spielen müsse. Sie finde Jungs doof und hätte am liebsten ihre Ruhe, vor allem vor so einem eingebildeten Stadtpinkel wie mir. Dann ließ sie mich stehen und stapfte auf ihren dürren Beinen hochnäsig in den Wald. Und ein paar Wochen später hat sie dichtgehalten, als ich die Wiese vom alten Smitty in Brand gesteckt hatte.«
    »Also doch! Da kommt’s raus«, polterte Charlie, als wolle er mir jetzt noch den Hintern dafür versohlen.
    Ich lachte. »Ev hat’s gewusst. Sie hatte mich beobachtet. Ich war sicher, dass sie petzen würde, stattdessen hat sie meine Version bestätigt. Da fing ich an, sie wirklich zu mögen.«
    »Wenn Ev das nicht bestätigt hätte, ich hätte dir bestimmt nicht geglaubt«, knurrte Charlie. »Siehst du mal, Carol, dein kleiner Engel, ganz schön gerissen!«
    Als er sah, dass Caroline schon wieder die Tränen in die Augen stiegen, verfluchte er sein loses Mundwerk. Wir waren vom Thema abgekommen. »Lassen wir die alten Geschichten. Was machen wir, Marc? Ich hatte so sehr gehofft, dass du dich meldest, zumindest mal wieder anrufst.«
    »Tut mir leid. Ich brauchte damals dringend Abstand, sonst hätte ich wahrscheinlich irgendetwas Dummes getan.«
    Dass ich die letzten Jahre ausschließlich Riesendummheiten und noch viel Schlimmeres begangen hatte, mussten die beiden nicht wissen, sie hatten genug Probleme. »Wegen Ev … Ich weiß nicht auf Anhieb, was wir unternehmen können. Ich muss mir die Sache erst einmal durch den Kopf gehen lassen.«
    Caroline schaltete sich ein: »Erinnerst du dich an die letzten Jahre hier, bevor du aufs College

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