Animus
einfach gleich den Wagen klauen. Ich steuerte auf die Bande zu, fixierte sie mit unbeweglichem Gesichtsausdruck und knöpfte langsam meinen Mantel auf. Als ich auf ihrer Höhe war, drehte ich gleichmütig ab, schlug aber mit der linken Hand meinen Mantel kurz zurück, sodass sie mein Schulterhalfter samt Wumme sehen konnten. Ich hoffte, dass sie diese Geste als Drohung verstanden, doch im Augenwinkel sah ich sie nur unverschämt grinsen.
Vermutlich war die Gang hier nicht mein größtes Problem. Ich freute mich zwar, Marc nach all den Jahren wiederzusehen, die Umstände jedoch waren heikel. Er würde sich verändert haben. Er war nicht mehr der lustige Junge aus Colorado, den ich so gemocht hatte. Ich wusste weder, ob ich ihm trauen konnte, noch, ob er meine Manipulationen gutheißen würde.
Ich öffnete die mit verwittertem Sperrholz benagelte Tür der Bar, in der wir verabredet waren. Es dauerte einige Sekunden, bis sich meine Augen auf das schummrige Licht eingestellt hatten und den dichten Staub in der Luft und den Qualm durchdringen konnten. Hier hielt sich offensichtlich keiner an das Rauchverbot. Mir konnte es recht sein.
»Gut siehst du aus, Fowler!« Marc schlug mir mit voller Wucht auf die Schulter. Er hatte sich unmerklich an mich herangeschlichen. Das gelang den wenigsten.
»Du auch, Westwood, du auch.«
»Komm rüber. Ich sitze hier am Fenster. Da kommt wenigstens ein bisschen Frischluft durch die Ritzen.«
Ich ließ mich von Marc in eine Ecke ziehen, entledigte mich meines Mantels und setzte mich hin.
»Kaffee?«, fragte Marc.
Ich nickte.
»Zwei Kaffee«, rief Marc in die Dunkelwelt der Bar hinein. Bis unsere Bestellung von einer drallen Blondine im Minirock an den Tisch gebracht worden war und sich als beinahe ungenießbar herausstellte, betrachteten wir einander lächelnd. Marc fing als Erster an zu sprechen:
»Schön, dich zu sehen, Mann, ehrlich. Was treibst du so?«
»Hör zu, Marc«, entgegnete ich. »Ich freue mich auch, dich zu sehen. Und ich würde gerne eine Nacht mit dir trinken gehen und über alte Zeiten reden. Oder dich beim Schachspiel fertigmachen. Aber wir beide wissen, dass das im Moment schwierig ist. Wir stehen auf verschiedenen Seiten. Ich sollte nicht mit dir gesehen werden und du nicht mit mir. Also lass uns das Geplänkel vergessen. Du bist wegen Ev hier.«
Marc gab einen leisen Pfiff von sich.
»Verdammt, du weißt gut Bescheid. Woher?«
»Woher was? Ich über Ev informiert bin oder über dich?« Ich grinste. Die Überraschung meines alten Kumpels schmeichelte mir ein wenig.
»Beides. Bist du beim Geheimdienst? Von wegen Revierbulle! Caroline hat von solchen Gerüchten gehört. Aber ich dachte, die Hinterwäldler in Colorado schauen zu viele schlechte Filme.«
»Das tun sie. Marc, ich habe dir immer vertraut. Und ich hoffe, dass ich das immer noch kann, trotz deiner Zugehörigkeit zu der Terroristenszene. Du bist Mitglied der Stadtguerilla. Oder liege ich falsch?«
Marc schaute mir überrascht, aber nichtsdestotrotz offen in die Augen. »Du kannst mir trauen. Ich gehe davon aus, dass ich auch dir trauen kann. Dass du mich nach unserem Gespräch nicht in Handschellen abführst oder mich sonst wie aufs Kreuz legst. Du bist aber nicht ganz auf dem Laufenden: Das mit der Guerilla, das ist vorbei. Endgültig. Ich will Ev finden und uns ein neues Leben aufbauen. Aber wieso wisst ihr überhaupt Bescheid über mich? Ich hatte eine perfekte Tarnung, exzellente Papiere und alles.«
»Keiner weiß etwas außer mir. Ich habe dich auf einem Foto erkannt, das wir vor etwa zwei Jahren von Conrad Calvert geschossen haben. Du warst unscharf hinter ihm zu erkennen und wurdest von meinen Leuten nicht identifiziert.«
»Du hast mich nicht verraten?«, fragte Marc erstaunt.
»Hättest du das getan?«
»Nein.«
Wir sahen uns eine Zeit lang schweigend an. Ich hatte schon vermutet, dass Marc nicht mehr dabei war. Die geheimdienstlichen Ermittlungen gegen die Stadtguerilla hatten das letzte Jahr keinen einzigen Hinweis mehr geliefert auf diesen unbekannten Hintermann, der mein Jugendfreund war. Ich verließ mich darauf, dass Marc die Wahrheit sagte. »Wenn du noch nicht ausgestiegen wärest, würde ich es jetzt von dir verlangen. Als Gegenleistung für die Informationen über Ev. Aber wenn du mich anlügst …«
Ich sprach den Satz nicht zu Ende.
»Du musst mir nicht drohen«, sagte Marc ruhig.
Wir ließen wieder eine halbe Minute schweigend verstreichen. Beide hatten wir eine
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