Animus
solle die Klappe halten und ihre Arbeit machen.
Wir näherten uns dem Objekt. Links daneben ging es zum Nachbarsgarten. Von hier aus konnte man den FBI-Mann sehen, der im oberen Stockwerk des Wohnhauses am Fenster stand und zu uns herunterblickte. Becky ergriff die Initiative, schätze, sie wollte möglichst professionell wirken. »Los geht’s. Damit wir endlich ins Restaurant kommen.«
Becky trabte los, ich neben ihr her. Ich hatte sie genau im Blick, schließlich ging es auch um mein Leben. Sie ging ganz langsam, atmete ruhig und horchte in sich hinein, wie sie es gelernt hatte. Ich stellte Fragen, denn ich traute ihr nicht ganz. Im Lager war sie oft unsicher und übergab sich, wenn ich ihr zu viel zumutete. Wie fühlte sie sich? Wie roch die Luft? Wie ging ihr Puls? Sie umkreiste das Haus, das eher einem Schuppen in Fertigbauweise glich als einem Wohngebäude. Beim ersten Mal in einem Abstand von etwa drei, vier Metern. Es begann schon dunkel zu werden. »Alles in Ordnung«, sagte sie. »Hauptsache, es fängt jetzt nicht an zu regnen, und meine Frisur geht kaputt.«
Den nächsten Gang machte sie vorschriftsmäßig dicht an den Mauern. Sie sprach leise mit sich selbst, das tat sie im Lager bei den Trainingseinheiten nie. Wahrscheinlich war sie nervöser, als sie zugab. Mir ging ihr permanentes Gemurmel ganz schön auf die Nerven. »Nicht auf das Haus konzentrieren, sondern auf die vielleicht drohende Gefahr. Ich muss meinen Geist leer machen, meinen Körper frei fühlen, um störende Schwingungen wahrnehmen zu können. Ich bin der Seismograf, den ich beobachten muss. Aber was, wenn das Haus verdrahtet ist, die Türen und Fenster präpariert? Dann fliegen wir in die Luft. Aufhören! Ich muss mich darauf konzentrieren, leicht und entspannt zu sein.«
So ging das in einem fort. Gruselig. Dann hielt sie kurz an. Sie schaute auf ihre zitternden Hände. Mann, Scheiße, dachte ich, wieso haben die diese Anfängerin geschickt? Ich hab sie gefragt, ob was ist. Sie glotzte mich an und redete wie zu sich selbst, so als wäre ich gar nicht da: »Mein Gott, es ist nichts, ich habe nur Angst. Ich muss ruhig atmen, es ist kein Alarm, ich bin ganz ruhig, schau mal, der Baum da, hat gar keine Blätter mehr, ganz ruhig, alles okay, keine spezifische Situation, nur ein bisschen Angst, alles kein Problem.«
Dann lief sie weiter. Wir kamen wieder zur Vorderseite des Hauses. Sie würgte, als ob sie sich gleich übergeben musste. Ich fragte sie wieder, was los sei. Sie meinte nur, sie dürfe das jetzt nicht versauen. Sonst bekomme sie keinen Einsatz mehr. Ich sagte: »Ich auch nicht, dann sind wir nämlich tot, wenn du’s versaust.« Da lachte sie und meinte: »Quatsch. Weil hier nämlich nichts ist. Kein Sprengstoff, nichts.«
Ich guckte sie noch mal prüfend an und sagte: »Mach jetzt keinen Scheiß.«
Da nahm sie mir den Schlüssel zum Haus aus der Hand. »Wir gehen jetzt rein.«
Ich schaute zum Nachbarhaus. Der FBI-Fuzzi stand vor der Tür und wartete gelangweilt. Becky zitterte. Sie war kurz vorm Kotzen, ich kannte sie. Ich sagte zu ihr: »Warte kurz.« Ich machte ein paar Schritte, wollte zum FBI-Mann gehen und den Einsatz abbrechen. Weil ich Becky nicht traute.
Recht hatte ich.
Sie raffte, dass ich abbrechen wollte, was ihr nicht in den Kram passte. Sie ging zum Haus, schnell und entschlossen, und steckte den Schlüssel ins Schlüsselloch. Ich schrie, sie solle das lassen. Sie machte auf.
Bumm!
Ich sah noch, wie sie die Arme in die Höhe riss und ihr Mund sich öffnete. Ihren Schrei hörte ich nicht, die Detonation erfolgte gleichzeitig. Instinktiv ließ ich mich fallen. Dann herrschte Stille. Totenstille. Ich war etwa vier Meter von Becky entfernt. Seitdem habe ich keine Beine mehr.
20. Begegnung
Pete, 36, Geheimagent
Ich stieg aus dem Wagen und schlug meinen Mantelkragen hoch. Der Wind pfiff um die Ecken, die Kälte fuhr mir in alle Knochen. Der Winter kam dieses Jahr verdammt früh. Ich versuchte, mir die Hände durch Reiben zu wärmen. Ich schaute mich um. Diesen Teil von Washington kannte ich kaum. Es war eine wenig vertrauenerweckende Gegend. Lediglich vereinzelte Leute auf der Straße, hastende Passanten und ein paar herumlungernde Jugendliche in den Hauseingängen. Ich fragte mich, wie lange meine teuren Felgen hier wohl noch meine teuren Felgen blieben. Vielleicht würden die Jungs, die mich unverhohlen von der gegenüberliegenden Straßenseite aus beobachteten, den kompletten Reifensatz abmontieren. Oder
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