Animus
aufbewahrt wurden, an der sie ihren Fuß abstützte. Das Eigelb tropfte von ihren Zehen auf den Küchenboden. Wir brauchten nicht lange.
Dann knabberte ich an ihrem Ohr, obwohl ich das sonst albern finde, strich ihr wieder und wieder die Haare aus dem Gesicht. Lucy lachte. Ich hob sie hoch, sie schlang ihre Beine um mich, ich trug sie ins Wohnzimmer und setzte sie aufs Sofa. Sie lachte weiter. Mit einem Ruck schloss ich den Reißverschluss meiner Hose, ohne mein Hemd wieder hineinzustopfen, und fragte sie halb beleidigt, halb schuldbewusst: »Was gibt’s denn da zu lachen? Okay, ich weiß, das war nicht gerade eine formvollendete Nummer, aber …«
Lucy lachte aus vollem Halse. Da war es wieder, dieses Gefühl der Unzulänglichkeit, das ich bei ihr so oft empfand. Doch schließlich musste auch der verwirrteste Mann begreifen, dass Lucys Lachen äußerst vergnügt war und nicht spöttisch oder gehässig. Ich küsste sie, wild, dann immer sanfter.
Lucy nahm meinen Kopf zwischen beide Hände und hörte auf zu lachen. »Seit einer Ewigkeit habe ich auf dich gewartet. Aber dafür, dass du so lange gebraucht hast, es endlich zu bemerken, ging es jetzt verdammt schnell.« Sie lachte wieder. Ich nahm sie an der Hand, zerrte sie vom Sofa und zog sie hinter mir her Richtung Schlafzimmer. Seit Langem hatte ich mich nicht mehr so gut gefühlt.
DRITTER TEIL
23. Geheimnisse
Lucy, 43, Sensor Stufe 10
Es war der erste Advent. Unzählige Lichter glitzerten in den schneeverwehten Betonschluchten, als wäre Strass über die Stadt gestreut worden. Die Schaufenster der Kaufhäuser waren überladen mit Konsumgütern, künstlichem Backwerk, Rauschgoldengeln und überlebensgroßen Weihnachtsmannpuppen, die batteriebetrieben den Kopf und die Hände bewegten und dabei »Hohoho« riefen. In den Fenstern traditionsbewusster Privathaushalte wanden sich grellbunte Lichterketten zwischen aufgeklebten Papiersternen. Ich hatte nichts dafür übrig.
»Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun«, spottete ich, als Katya zu mir ins Wohnzimmer trat, feierlich einen Adventskranz mit einer brennenden Kerze vor sich hertragend.
»Weil der erste Advent ist und das Fest der Liebe naht, empfinde ich Mitleid mit deiner verlorenen Seele, du Heidenkind«, erwiderte sie tadelnd.
Sie stellte den Kranz auf den Tisch, ging zurück in die Küche und kam mit zwei Gläsern Glühwein zurück. Ich legte mein Buch beiseite. Katya reichte mir ein Glas Glühwein und setzte sich dazu. Draußen dämmerte es bereits, obwohl es erst kurz nach fünf war. Wir genossen unseren freien Tag. Demnächst würden wir viel zu tun haben. Vor Weihnachten präsentierte sich der Präsident immer auf jeder Menge Wohltätigkeitsveranstaltungen und Empfängen. Umso angenehmer war es für uns, diesen Abend ohne berufliche Termine oder private Verabredungen miteinander verbringen zu können. In den letzten Wochen hatten wir wichtige Themen angeschnitten, die längst nicht vom Tisch waren.
»Pete trifft sich gerade mit Schmelzer, March und dem Wichser Walcott«, erwähnte ich.
Katya schaute von ihrem Glas auf: »Es geht um unser Seminar, oder?«
»Ich habe beim Professor sehr nachdrücklich darum gebeten. Und ich muss gestehen, ich habe auch Pete den einen oder anderen Gedanken in die richtige Richtung eingeimpft.«
Katya grinste. »Trifft das nicht den unmoralischen Tatbestand der Manipulation sexuell Abhängiger?«
»Ist der Papst katholisch?« So unbeschwert der Tonfall unseres Gesprächs erscheinen mochte, so bedeutungsvoll war der Ausgang dieses Treffens zwischen den Verantwortlichen des Rattenprogramms für uns. Tina aus dem Lager hatte schon vor längerer Zeit eine solche Zusammenkunft angeregt, wollte eine gründliche Ausbildungseinheit für die Ratten jüngerer Ränge. Anlass waren für Tina vor allem die Schwierigkeiten Beckys gewesen. Das hatte sich nun erledigt. Dennoch war gerade Beckys Tod ein zugkräftiges Argument für uns. Wir machten Schmelzer klar, dass bei einer besseren Ausbildung und einem regelmäßigen Erfahrungsaustausch zwischen den Anfängerinnen und den hochstufigen Sensoren eine solche Katastrophe künftig vermeidbar sei. Den Risikofaktor Walcott, der für Beckys Ableben verantwortlich war, könne man zwar nicht beseitigen, aber ein paar konzentrierte Schulungen würden sicher verhindern, dass es aufseiten der neuen Rekruten zu fatalen Selbsteinschätzungen käme. Schmelzer sah all das ein und versprach, so bald wie möglich ein derartiges
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